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Berlin: Klasse Arbeiter

12. 000 Gewerkschafter gingen am 1. Mai auf die Straße. Nur wenige sind jung

12. 000 Gewerkschafter gingen am 1. Mai auf die Straße. Nur wenige sind jung

Revolutionäre setzen offenbar auf Tradition. Während in Kreuzberg seit Jahren zum Aufstand aufgerufen wird, sammeln sich am Brandenburger Tor alternde Gewerkschafter mit Bier und Bratwurst. Mit etwa 12 000 waren gestern zwar mehr Kollegen auf der Straße vor dem Brandenburger Tor unterwegs als im vergangenen Jahr. Dennoch ist augenscheinlich, dass IG Metall und Co. ein Nachwuchsproblem haben. Die Jugend feiert den 1. Mai bei strahlendem Sonnenschein eher in Kreuzberg. Deshalb passt David mit Kapuzenpullover und Basecap hier nicht hin.

Widersprüchlich seien die lautstarken Parolen der unzähligen linken Gruppen leider oft, sagt er. Wer in Kreuzberg randaliere, schade außerdem den Falschen. Die alljährlichen Demonstrationen rund um das Kottbusser Tor findet er zunehmend unpolitisch. „Ich will die Verhältnisse ändern, dazu braucht man einen langen Atem.“ Die nötige Ausdauer hätten die jugendlichen Protestierer in Kreuzberg häufig nicht. „In ein paar Jahren sind die meisten von denen angepasste Spießer“, sagt der 29-Jährige aus Friedrichshain.

David ist Ingenieur und deshalb in Deutschlands größte Gewerkschaft, die IG Metall, eingetreten: „In erster Linie bin ich doch Arbeitnehmer.“ Um ein Aufbaustudium zu finanzieren, arbeitet er für eine große Computerfirma. Dort engagiert er sich für eine Mitarbeitervertretung. Doch das reiche ihm nicht, eine starke Gewerkschaft sei unerlässlich. „Überall steigen die Preise, doch die Löhne sinken“, beschwert sich David.

Sicher, auch seine Gewerkschaft halte an „sinnentleerten Ritualen“ fest: Die trockenen Reden der Funktionäre, die üblichen Appelle an die Politiker und die langweiligen Veranstaltungen mit Blasmusik und Schlagern. David hört lieber Indie-Rock und fährt gerne Skateboard. Dass er nicht ganz zu seinen Kollegen in der IG Metall passt, weiß er. Um in Zukunft nicht als Seniorenverein dazustehen, hätten die Gewerkschaften noch einen langen Weg vor sich, sagt er.

Während DGB-Bundesvorstand Annelie Buntenbach sichere Arbeitsplätze fordert, mischt sich David mit Büchern unter die Besucher. Wer ein besseres Leben will, sagt er, müsse sich mit Politik und Wirtschaft auseinandersetzen. Gemeinsam mit Kollegen aus dem „Arbeitskreis Internationalismus“ bietet er Schriften über Konsum und Kommerz an. Die Einnahmen sollen Gewerkschaftern in aller Welt zugute kommen. Hannes Heine

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