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Berlin: Klaus Globig, geb. 1931: In der DDR arbeitete der Slawist an der Akademie der Wissenschaften und träumte von einer gerechteren Welt

Ein gutes Herz hat aufgehört zu schlagen" liest man hin und wieder in Traueranzeigen, aber hier stehen die sieben Worte so nicht für sich allein. Sie sind nur die Einleitung zu einem zweiten, folgenden, fast rätselhaften Satz, der uns erklären soll, weshalb das gute Herz vier Tage vor dem 68.

Ein gutes Herz hat aufgehört zu schlagen" liest man hin und wieder in Traueranzeigen, aber hier stehen die sieben Worte so nicht für sich allein. Sie sind nur die Einleitung zu einem zweiten, folgenden, fast rätselhaften Satz, der uns erklären soll, weshalb das gute Herz vier Tage vor dem 68. Geburtstag des Dr. phil. Klaus Globig aus Berlin-Pankow plötzlich still stand. Plötzlich? Wohl nicht. "Es zerbrach an dem unerfüllbaren Traum von einer gerechteren Welt".

Klaus Globig war Slawist und sprach Russisch, Polnisch, Englisch, Französisch und, mit dem Wörterbuch, Spanisch. Aber er konnte seine Kenntnisse nicht mehr nutzen, denn Ende 1991, nach der Wende, wurde die Akademie der Wissenschaften und damit sein Forschungsgebiet zur russischen und sowjetischen Literaturgeschichte aufgelöst und er, der "abgewickelte" 60-jährige mit dem Kopf voller Pläne, erhielt "Altersübergangsgeld". In dieser Zeit machte sich seine Frau Liselotte mit ihrer Apotheke in einem dicht besiedelten Wohngebiet von Prenzlauer Berg selbstständig - er aber, der einst so Aktive, fühlte sich zum Zu-Hause-Bleiben verurteilt, wurde mehr und mehr deprimiert und sah keinen Sinn darin, neue Pläne zu verfolgen. Er hatte sich abgeschrieben. Kein Lebensmut, kein Appetit, Zigarren, ein kränkelndes Herz.

Klaus Globig hat seiner Familie Aufzeichnungen vom Lauf seines Lebens hinterlassen, die uns seinen Traum von einer gerechteren Welt besser deuten lassen. Der Sohn eines Breslauer Ofensetzers ging, als die Bombenflugzeuge auch über seiner Heimatstadt ihre Lasten ausklinkten, mit 13 Jahren auf die Flucht. Der Vater kämpfte irgendwo in Griechenland, die Mutter arbeitete in einem Rüstungsbetrieb und floh 1945 mit dem Jungen ins Riesengebirge nach Agnetendorf in die Nachbarschaft Gerhart Hauptmanns, wurde von dort bald ins Sudetenland geschickt, wo sie nicht bleiben durften. "Als missliebige Flüchtlinge, die unbedingt in ihre schlesische Heimat zurückkehren wollten, wurden wir von Ort zu Ort getrieben." Im August 1945 kam bei diesem Überlebenskampf die Mutter ums Leben, der Verbleib des Vaters war lange unbekannt. "Flucht und Vertreibung machten mich mit 14 Jahren de facto zur Waise: Elternlos, als bettelndes Flüchtlingskind, im Dorf von Einheimischen angefeindet, mit dem Wunsch, meine unterbrochene Schulausbildung auf einem Gymnasium fortzusetzen, ging ich 1946 nach Halberstadt" - in ein Waisenhaus. "Die mittelbaren Folgen blieben lebenslang" - so sah Klaus Globig diese Irrwege einer vom Krieg zerstörten, aber prägenden Jugend. Und dies alles sollte nie wieder mit Menschen geschehen. Endlich eine friedliche Zukunft, Hoffnung auf ein besseres Neues, Ruhe, Beständigkeit. Die Stationen: Abitur, Dolmetscherbefähigung für Französisch, Slawistik-Studium in Leipzig, Staatsexamen, Humboldt-Uni Berlin, Promotion, Ehe, ein Kind, Akademie, russische Literaturgeschichte, Freundschaft mit Moskauer Literaten, Forschen - und das Gefühl, auf der Seite des Fortschritts und der in seinen Augen gerechteren Ordnung zu stehen.

Und dann stellte die Wende so vieles oder alles in Frage. Vertrautes hatte sich aufgelöst, Vertraute gingen ihre eigenen Wege in einer für ihn sinnentleerten Zeit, die nicht mehr seinen Vorstellungen entsprach und der er Geldgier, Kriminalität, Lug und Trug zuordnete. Er fühlte sich überflüssig den Tag über, bis seine Frau spätabends müde von der Arbeit kam. Irgendwann hat er sich abgeschrieben. Kein Ort, nirgends.

Lo.

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