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Kolumne "Meine Heimat": Happy End in Lichterfelde

Unsere Autorin Hatice Akyün sucht beim Schreiben immer nach einem Happy End. Doch diese Woche hatte sie einen kompletten Blackout.

Jedes Mal, wenn ich auf einer Bühne bin, passiert es: Ich habe für einen Moment die absolute Leere im Kopf. Nichts, rein gar nichts, geht mir dann durch meine Birne. Ich mutiere zu einem entleerten Denkgefäß, völlig inhaltslos und still. Und dann, ganz plötzlich wie durch Geisterhand, springt das olle Ding wieder an, als hätte man seinen Computer neu gestartet. Warum ich Ihnen das erzähle?

Am Wochenende hatte ich eine Lesung in Lichterfelde. Das ist ein Ortsteil, den ich nicht oft besuche. Ich hatte also keine Ahnung, was mich erwarten würde. Die Menschen standen nach einem langen Arbeitstag von ihren Sofas auf, stiegen in ihr Auto oder in die BVG, um zu einer Lesung von Hatice Akyün zu kommen. Ich muss mir das immer wieder sagen, sie sind deinetwegen hier, Hatice, deinetwegen.

Gleich zu Beginn der Lesung, ich hatte die Leere in meinem Kopf noch nicht überwunden, hatten wir schon Atemnot wegen Lachens zu beklagen. Gläser zerbrachen, ich bekam seltenen Zwischenapplaus, und nachdem ich meine Leidensgeschichte über den Schienenersatzverkehr erzählt hatte, bot mir eine Dame aus Charlottenburg an, mich nach Hause zu fahren. Ein bisschen habe ich mich in die Lichterfelder verliebt.

Komplexes Thema auf engstem Raum

Aber eigentlich wollte ich Ihnen etwas ganz anderes erzählen. Jede Woche überlege ich, worüber ich schreiben könnte. Darüber, was in Berlin passiert ist, was mir passiert ist, was ich erlebt habe und was anderen widerfahren ist.

Mein Handicap ist, dass ich ein komplexes Thema auf engstem Raum abhandeln muss. Dafür muss ich einiges auslassen. Themen, die mich derzeit beschäftigen, bekomme ich nicht zu einer Kolumne eingedampft. So, wie die OECD-Studie, die in Kurzform aussagt, dass Kinder heute doofer seien als ihre Eltern. Ich überlegte, wie man das überhaupt messen und bewerten konnte. Wegen Komplexität musste ich mir also etwas anderes ausdenken.

Dann überlegte ich, am Tod von Blacky Fuchsberger deutlich zu machen, dass bald jeder, der mich in meiner Jugend geprägt hat, wegstirbt. Einerseits ist das der Lauf der Dinge, andererseits zeigt es, dass ich nun in das Alter komme, Jüngere zu prägen. Dazu gesellte sich der Gedanke, dass Menschen, die mir etwas bedeuten, in absehbarer Zeit auch nicht mehr da sein werden. Da ich vorhabe, ziemlich lange zu leben, sollte ich frühzeitig anfangen, in die Generation vor mir zu investieren, damit ich im Alter nicht einsam sterbe. Aber schon wieder so ein gedankenschweres Thema.

Herbst geht immer

Dann dachte ich, Herbst geht immer. Wenn sich bei Aldi Stollen, Spekulatius, Marzipankartoffeln und Lebkuchen breitmachen, beginnt die dunkle Jahreszeit. Vom Basteln und vom Kuchenbacken könnte ich erzählen, davon, dass man jeden Tag etwas Warmes ums Herz braucht, dass einem die Dunkelheit nicht die Stimmung eintrüben sollte.

Ach ja, man könnte noch über die Kuschelzeit schreiben. Im Frühling und Sommer hagelt es Affären, im Herbst aber suchen wir uns Menschen, die der kalten Jahreszeit Wärme entgegensetzen. Aber auch für dieses Thema kriege ich kein Happy End zustande. Nun ist es also passiert, ich habe diese Woche einen kompletten Blackout. Vermutlich auch deshalb, weil derart viel Schreckliches passiert, dass ich es versäumt habe, meine rosarote Brille rechtzeitig ins Trockene zu bringen.

Es geht nicht darum, sich Dinge schönzureden, sondern darum, sich positiv anstecken zu lassen. Vielleicht fahre ich gleich noch mal nach Lichterfelde, trotz Schienenersatzverkehrs. Oder wie mein Vater sagen würde: „Ayagini sicak tut, basini serin, gönlünü ferah tut, düsünme derin.“ Halte deine Füße warm, deinen Kopf kühl, dein Herz fröhlich und grüble nicht.

Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. An dieser Stelle schreibt sie immer montags über ihre Heimat.

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