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Täglich werden in Berlin etwa 70 Fahrräder geklaut.

© dpa

Kolumne "Meine Heimat": Ich, der Radgeber

Unsere Kolumnistin Hatice Akyün vermisst etwas, das alt ist, klappert und rostet - und das sie trotzdem sehr lieb hatte. Nun hofft sie auf Hilfe aus dem Jenseits.

Geben ist seliger als Nehmen, sagt der Volksmund. Ich bin unter die Radgeber gegangen. Wie etwa 70 andere Berliner täglich, machte ich ein ziemlich dummes Gesicht, als ich merkte, dass mein Rad nicht mehr dort war, wo ich es abgestellt hatte. Ja genau, mein pechschwarzes, traumatisiertes Rad, das im vergangenen Jahr wegen Schwarzfahrens ein Ticket bekam, in einer Baugrube lag und von einem heimlichen Verehrer mit Krepppapier dekoriert wurde.

Das rostige Ding war nicht besonders hübsch. Es war alt, klapprig, das vordere Schutzblech kaputt, die Pedale knatterte beim Fahren, die Handgriffe längst eingerissen und vermutlich ritzte mir ein anderer heimlicher Verehrer geheime Botschaften in den Sattel. Trotz der vielen Makel, hatte ich es sehr lieb. Und es brachte mich treu von A nach B.

Es scheint uns Menschen eigen zu sein, dass wir die Dinge, die uns nie im Stich lassen, als gegeben hinnehmen und sie deshalb ein wenig vernachlässigen. Ich bin jahrelang davon ausgegangen, dass niemand dieses olle Ding klauen würde.

Ich sterbe vor Sehnsucht und Liebeskummer

Nun war ich auf einmal ohne Verkehrsmittel, das mich kostenlos über die Schlaglochpisten führte. Mein Rad war in Berlin meine erste, zuverlässige Beziehung, um von Mitte aus die Stadt kennenzulernen. Später, in Charlottenburg, kam der Kindersitz drauf und meine Tochter sah auf dem Gepäckträger die Welt, rechts und links am Sattel vorbei. Nun hat uns ein böser Mensch aus unserer Beziehung gerissen, unvermittelt und ohne Vorwarnung. Ich sterbe vor Sehnsucht und Liebeskummer.

Pragmatisch gesprochen, fällt bei einem Auto Wartung und Benzin, Steuern und Parkplatz an, beim Fahrrad die Ersatzbeschaffung durch Diebstahl. Die Hoffnung, meinen Drahtesel wiederzufinden, ist gering. Bei 26.000 geklauten Rädern im Jahr, werden nur vier Prozent der Delikte aufgeklärt.

Was macht jemand mit meinem verschlissenen Bock? Entweder verscherbeln oder verschrotten. Bei meinem Rad eher das Zweite. 15 Euro brächte es beim Schrotthändler, meinte mein Nachbar. Ökonomisch betrachtet, erhöht jeder Fahrraddiebstahl das Bruttoinlandsprodukt. Derjenige, der geklaut hat, generiert irgendein Geld, und der Beklaute investiert für den Ersatz. Das muss ich wohl oder übel nun auch tun. Vielleicht starte ich auch so ein Crowdfunding-Ding. Das ist diese Methode der Geldbeschaffung aus dem Internet. Man garantiert eine stille Beteiligung und bekommt somit das Eigenkapitel für eine Idee oder ein Produkt.

„Vertraue auf Gott, aber binde dein Kamel an“

Mein neues Fahrrad hätte immense Vorteile für die Geldgeber. Es ist umweltschonend, ich würde ihnen keine Parkplätze wegnehmen und die Straßen nicht noch zusätzlich mit einem weiteren Auto vollstopfen. Es gäbe da aber noch eine andere Möglichkeit, und das sage ich jetzt mit viel Nachdruck: Dieb, bis Mittwoch ist das Rad wieder am alten Platz, oder ich werde die mystischen, verborgenen, aber vorhandenen Mächte der anatolischen Zwischenwelten aktivieren.

Wir Ex-Türken haben unsere Möglichkeiten, aus dem Jenseits Hilfe zu holen, die den einen oder anderen in der Realität böse schubsen können. Ich sage nur „beddua“. Ja, erkundigen Sie sich schon mal vorsichtshalber, was das für Sie bedeuten wird.

Dennoch, in einer schrägen Welt, muss auch der Aufrechte schief gucken können. Deshalb werde ich nicht drum herum kommen, mir ein Kettenschloss anzuschaffen, das im Vorleben die Ankerkette eines Schlachtschiffes gewesen ist. Oder wie mir ein arabischer Freund riet: „Vertraue auf Gott, aber binde dein Kamel an.“

Unsere Kolumnistin Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. Im Tagesspiegel schreibt sie immer montags über ihre Heimat. Hier finden sich ihre früheren Kolumnen-

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