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Kreuzberg: Kirchen-Besetzung: Roma müssen gehen

Die Kreuzberger Gemeinde hielt sich offenbar nicht an ihre Vereinbarung den 20 in der Kirche verbliebenen Rumänen Obdach zu bieten. Am späten Freitagabend mussten die Roma die Kirche verlassen. Ein anderer Teil der Gruppe zog bereits am Nachmittag in ein Asylbewerberheim um.

Der weiße Bus der Arbeiterwohlfahrt lässt den Motor laufen, als knapp 30 Roma, mit Tüten und Taschen bepackt, einsteigen. Um sie herum steht ein Pulk von linken Kreuzbergern, die sich zu ihren Beschützern erklärt haben und Schaulustige wegdrängen. Das Fahrtziel der Männer, Frauen und Kinder, die Donnerstag die Sankt-Marien-Liebfrauen-Kirche besetzt hatten, ist das Asylbewerberheim in der Spandauer Motardstraße. Nach tagelangen Gesprächen an Runden Tischen sind sie auf das Angebot des Senats eingegangen.

Kirche hoffte bis zuletzt auf den Bezirk

„Wir sehen uns in der Pflicht, eine Übergangslösung zu bieten“, erklärte Pfarrer Olaf Polossek noch am Freitagnachmittag bei einer Pressekonferenz. Es könne sich dabei allerdings nur um Tage handeln. Der Gemeindesaal, in dem weiterhin einige Romafamilien untergebracht sind, werde keinesfalls geräumt. Die katholische Gemeinde wolle helfen, wo es geht. „Unsere Mitglieder sind es gewohnt, mit armen Menschen zusammenzuleben“, sagt Bettina Jarasch, die Vorsitzende des Gemeinderats. Wie allerdings die sanitäre Versorgung der unerwarteten Gäste auf dem Kirchengelände geregelt wird und woher Essen kommen soll, ist ungewiss. „Wir hoffen da auf den Bezirk“, sagt Jarasch. Die Kirche will vermitteln, aber nicht allein gelassen werden.

Am Freitagabend forderte Pfarrer Polossek laut "Unterstützerinnenkreis Roma-Familien" die verbliebenen Rumänen allerdings auf, die Kirche zu verlassen. Die Roma beendeten die Besetzung. Nach Angaben der Polizei soll die Aktion ohne Zwischenfälle verlaufen sein. Wo die Gruppe sich derzeit aufhält ist nicht bekannt.

Die Politik steht unterdessen weiterhin in Zugzwang: Die Familien aus Rumänien kommen aus extrem armen Verhältnissen. Sie schliefen zunächst unter freiem Himmel, obwohl unter ihnen kleine Kinder und schwangere Frauen sind, manche schwerkrank. Der Senat spricht von einer Notlage. Die rund 30 Berliner Roma werden zunächst für eine Woche in Spandau untergebracht. In dieser Zeit soll geprüft werden, wer in der Gruppe unter Umständen Anrecht auf Sozialhilfe hat. Für die anderen werde dann „Rückkehrhilfe“ geleistet, wie es in Notfällen üblich sei. „Einige wollen wieder zurück – sie hatten andere Vorstellungen von dem, was sie in Deutschland erwartet“, erklärt Jarasch nach den Gesprächen mit Romavertretern. Für diejenigen, die nicht in den Bus nach Spandau gestiegen sind, ist eine Rückkehr in das Heimatland jedoch keine Option.

Roma haben kein Anrecht auf Asyl

Die Roma sind EU-Bürger und rechtmäßig als Touristen eingereist. Ein Anrecht auf Asyl haben sie als solche nicht. Der Berliner Landesverband der Sinti und Roma forderte am Freitag von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), eine Konferenz der EU-Staaten einzuberufen, „um konkrete Vereinbarungen mit der rumänischen Regierung zur Verbesserung der Lage der in Rumänien beheimateten Roma“ zu treffen. Die Kreuzberger Kirche will sich nicht in die politische Debatte einmischen. „Eine Kirchengemeinde kann nun mal nicht alles heilen, was in Deutschland schief läuft“, sagt Jarasch. Wenn die Familien das Gebäude verlassen, werde aber ein „schales Gefühl zurückbleiben“. Mit dem Einzug der Roma sei ein trauriges Stück europäischer Wirklichkeit näher gerückt. „In Rumänien wurden sie offenbar in Lager verdrängt, deren Zustände wir uns hier gar nicht vorstellen können.“ Zwischen Kirchenvertretern und dem „UnterstützerInnenkreis“, wie sich die Gruppe aus dem Künstlerhaus Bethanien nennt, sollen „konstruktive Gespräche“ stattgefunden haben. „Wir waren uns überraschend einig“, sagt Jarasch, „es geht nur darum, was die Roma für das Beste halten.“

Am Abend zuvor hatte die zum Teil aggressiv gegen Journalisten vorgehende Gruppe Pfarrer Polossek noch vorgeworfen, dass er sich bei den Gesprächen mit Vertretern von Senat und Bezirk im Gemeindesaal nicht politisch engagiere. Worte wie „Abschiebelager“, „Pogrome“ und „Stacheldraht“ fielen. „Jesus hat auch Grenzen überschritten“, sagte etwa eine junge Frau zum Geistlichen in einer Zigarettenpause. In gewisser Weise sei ziviler Ungehorsam doch ein Teil der christlichen Geschichte. Der 46-jährige Pfarrer, der vor neun Jahren nach Kreuzberg zog und das Amt übernahm, sieht das gelassen. „Mit solchen Situationen muss man rechnen, wenn man in einer Kreuzberger Kirche arbeitet.“

Ferda Ataman

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