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Klaus Lederer (Die Linke) ist Kultur- und Europasenator von Berlin.

© Mike Wolff

Kultursenator Klaus Lederer: "Ich habe kein Verständnis für irrationale Ängste"

Klaus Lederer, der beliebteste Berliner Politiker, spricht im Interview über Homophobie, Übergriffe und Videoüberwachung. Und über die Terminnöte in Berlins Standesämtern.

Von Sabine Beikler

Herr Lederer, Sie sind der beliebteste Berliner Politiker. Wie haben Sie das als Kultursenator und Bürgermeister geschafft?

Darüber denke ich nicht nach. Ich arbeite die wichtigen Dinge ab und versuche, eigene Akzente zu setzen für die Kultur und die Stadt. Dafür streite ich dann auch leidenschaftlich. Schön, wenn das gefällt.

Wie wichtig sind Koalitionsvertrag und Richtlinien der Regierungspolitik für ein gutes Regieren?

Dreier-Konstellationen sind ja relativ neu in der Bundesrepublik und stellt alle Beteiligten vor größere Herausforderungen. Das geht nicht mit Gefolgschaft, ich bin darauf angewiesen, Kompromisse auszuhandeln. Ein Koalitionsvertrag ist eine Grundverständigung, das sollte dann auch die Alltagsarbeit erleichtern.

Was haben Sie Michael Müller gesagt, der sich bei der Abstimmung über den Familiennachzug im Bundesrat nicht an den Koalitionsvertrag gehalten hat, der für Familiennachzug ist?

Michael Müller gab mir zu verstehen, dass wir in der Sache keinen Dissens hätten, nur in dem im Bundesrat vorgesehenen Verfahren. Ich habe ihm entgegnet, dass man mit einer Zustimmung zum Antrag die eigene Position und die Differenz hätte deutlich machen können. Und wenn eine CDU-geführte Jamaika-Koalition aus Schleswig-Holstein diesen Antrag stellt, den wir auch selbst hätten stellen können, dann kann ich das öffentlich schwer erklären.

Die Große Koalition wird kommen. Befürchten Sie, dass sich Berlin wegen Unstimmigkeiten in der Koalition immer öfter im Bundesrat enthält und die eigene Koalitionslinie verlässt?

Ich wünsche mir, dass etwa Berlin und Thüringen deutlich machen, dass Rot-Rot-Grün eine Alternative zur Großen Koalition ist, eine Hoffnung und Chance. Wir müssen den Bundesrat nutzen, progressive Alternativen zur Geltung zu bringen. Wir sind in Berlin kein Anhängsel der Großen Koalition. Das muss klar sein.
Wir müssen deutlich machen, dass es nicht nur eine Opposition von rechts gibt. Es gibt hier im Land Menschen, denen die Wahrung demokratischer Rechte wichtig ist und die eine sozialere und ökologische Politik wollen und formulieren. Für diese müssen wir die Hoffnung auf die linke Seite zurückholen.

Es ist erkennbar, dass das Regieren in Berlin schwieriger wird. Die Grünen hatten im Senat einer Bundesratsinitiative Berlin für eine Erhöhung des Wohngeldes für Bafög-Empfänger zunächst nicht zugestimmt. Haben Sie zugestimmt?

Die Debatte war an dem Punkt beendet, als die Grünen sagten, sie müssten noch offene Fragen klären. Prinzipiell ist die Klärung offener Fragen legitim. Ich hoffe sehr, dass wir nicht in einen Modus verfallen, in dem jede vermutete Verletzung der gemeinsamen Absprache sofort zu einem Tritt vors Schienbein führt.

Auf der Senatsklausur wurde beschlossen, einen Lenkungskreis einzurichten, um bei Konflikten in Wohnungsbauprojekten schnell eingreifen und moderieren zu können. Michael Müller greift auch ein, wenn es länger als zwei Monate dauert. Ist das ein Eingriff in die Souveränität von Senatorin Lompscher?

Mich interessiert allein die Frage, ob wir so zusammenarbeiten, dass wir die Wohnungs- und Mietenprobleme gut lösen.

"Die Gesellschaft verroht"

Klaus Lederer und der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) im Berliner Abgeordnetenhaus
Klaus Lederer und der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) im Berliner Abgeordnetenhaus

© Britta Pedersen/dpa

Aber Michael Müller hat vor Kurzem erneut gesagt, dass er Korrekturbedarf in der Wohnungsbaupolitik sieht und hat nun Verbände und Genossenschaften ins Rote Rathaus eingeladen. Das klingt nicht nach einem Vertrauensbeweis.

Es ist das gute Recht des Regierenden Bürgermeisters, alle Gruppen zu treffen. Die Linksfraktion hatte schon 2008 auf die drohende Wohnungsnot und Mietpreisexplosion hingewiesen. Aber das wollte damals kaum jemand hören, auch die SPD nicht. Und jetzt rufen diejenigen am lautesten, die damals gelacht haben. Aber es kann doch niemand glauben, dass Wohnungen einfach vom Himmel fallen. Wenn wir neue Stadtquartiere entwickeln wollen, brauchen wir Infrastruktur, Kitas, Schulen und sozio-kulturelle Räume. Sonst wird man in 20 Jahren fragen, wieso wir sozial ausgrenzende Wohnghettos gebaut – und dies alles nicht mitgedacht haben.

Eine Vertrauenskrise gibt es auch mit den Bürgern in Blankenburg. Statt 6000 sollen dort plötzlich 10 000 Wohnungen entstehen. Die Anwohner sprechen von Bürgertäuschung. Das ist offensichtlich kein gutes Beispiel für Partizipation.

Partizipation ist ein Prozess und der steht dort am Anfang. Bürgerbeteiligung bringt nicht nur Beifall, aber deshalb verzichten wir doch nicht darauf!

Selbst Pankows Bürgermeister und Linkspolitiker Sören Benn war von der Dimension überrascht und fordert Nachbesserungen. Wie geht die Linke jetzt mit diesem Projekt um?

Ich denke, es wird Nachbesserungen geben. Wenn das Ergebnis von Partizipation die Ansage vom Beginn ist, läuft das falsch. Aber, ich sage es nochmal, die Politik ist hier auch in einem Lernprozess.

Sie haben einmal gesagt, dass Spießertum gewiss keine Weltanschauung sei. Aber können Sie verstehen, dass nicht nur Spießer Angst haben und sich abends nicht mehr auf die Straße trauen?

Klar weiß ich, dass Leute auch Angst haben, weil sich die Stadt so rasant verändert. Sie machen sich Sorgen, ob Berlin die Stadt ist, in der sie gern leben wollen, zu Hause sind, sich wohlfühlen. Das nehme ich ernst. Aber ich habe kein Verständnis für irrationale Ängste. Ich finde es gut, dass Andreas Geisel endlich für mehr Präsenz der Polizei und gut motivierte Beschäftigte sorgt. Und Straftaten müssen konsequent verfolgt werden – daran arbeitet Senator Behrendt.

Gerade wird in der Innenverwaltung das Volksbegehren für mehr Videoüberwachung geprüft. Die Linke hat sich vehement gegen mehr Videoüberwachung ausgesprochen. Was sagen Sie den Berlinern, die mehr Videokameras wollen?

Eine rot-rot-grüne Regierung muss sich um die Bürgerrechte und die öffentliche Sicherheit gleichermaßen kümmern. Das ist ein Kernthema. Videoüberwachung bringt nicht mehr reale Sicherheit.

Es gibt in manchen Kiezen eine Feindlichkeit gegenüber Deutschen. Als Frau wird man angemacht von arabischen Männern, nur weil man allein auf der Straße unterwegs ist. Finden Sie das in Ordnung?

Ich kann mit "Deutschenfeindlichkeit" nichts anfangen und erlebe insgesamt, dass der Respekt vor dem Anderen abnimmt. Die Gesellschaft verroht. Das betrifft Antisemitismus, Übergriffe auf Muslime, Frauenfeindlichkeit und Homophobie. Ohne Ansehen der Person ist so etwas inakzeptabel und darf von der Gesellschaft nicht toleriert werden.

Erleben Sie, dass Homophobie größer geworden ist?

Sie wird wieder offener und aggressiver vertreten als früher. Ein Beispiel: Wenn beispielsweise im öffentlichen Rundfunk zwei queere Menschen zwei Homosexuellen-Hassern gegenüber gesetzt werden, kann man das nicht als aufklärerischen Beitrag verkaufen. Das ist ein Duell zwischen Diskriminierern und Diskriminierten, verkauft als Meinungsfreiheit. Und erinnern wir uns: Vor noch nicht einem Jahr hat selbst die Kanzlerin gegen die Ehe für Alle gestimmt.

Sie leben mit ihrem Partner in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft und wollen heiraten. Im Parlament erwähnten Sie, sie seien Leidtragender bei der Terminnot der Standesämter in Pankow. Warten Sie noch auf einen Termin?

Ich verstehe nicht, warum ich die Lebenspartnerschaft in allen Bezirken eingehen konnte, aber "das Upgrade" so nicht möglich ist. Da zeigt sich, was wir für eine moderne Verwaltung noch tun müssen. Wir haben jetzt den Termin für die Feier mit Freunden festgesetzt. Ob wir vor oder nach der Party heiraten werden? Schauen wir mal.

Das Gespräch führte Sabine Beikler

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