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© dpa

Hintergrund: Machtkampf in der Neuköllner CDU

In Neuköllns Kreisverband waren einst die CDU-Granden zu Haus, doch jetzt ist Krieg. Auf Spurensuche in einem Kreisverband, der eine der Säulen der CDU in Berlin war.

Ein Kompromiss? Unmöglich. Nachgeben? Gibt es nicht. In der Neuköllner CDU läuft ein Machtkampf ab, dessen Ausgang ungewiss ist. Für die Beteiligten geht es um ihre Zukunft als Politiker. Die Vorzeigefrau der Neuköllner CDU, Stefanie Vogelsang, soll kaltgestellt werden. Chaos perfekt. Und das in einem Kreisverband, der eine der Säulen war, auf der die Vormacht der CDU in (West-)Berlin ruhte. Richard von Weizsäcker war ihr Mitglied, Eberhard Diepgen ist es immer noch. Jetzt ist der Kreisverband gespalten. Nur eines verbindet die, die sich befehden: Keiner weiß einen Ausweg.

Passiert ist viel in den vergangenen fünf Monaten. Eine angesehene Kommunalpolitikerin und Kreischefin will in den Bundestag. Stefanie Vogelsang, damals noch Gesundheitsstadträtin im Neuköllner Bezirksamt, wird im November 2008 auf den dritten Platz der Landesliste gewählt. Das ist nicht bloß ein Anerkennungserfolg für die gewichtige Politikerin mit der freundlichen Stimme. Vogelsang setzte sich in einer Kampfkandidatur gegen Ingo Schmitt durch. Damit nahm sie dem Ex-CDU-Landeschef die Chance, sicher wieder in den Bundestag zu kommen. Vogelsangs Nominierung war der Punkt hinter dem Ende des „System Schmitt“, das damals viele in der Berliner CDU unbedingt abgeschafft sehen wollten. Kein halbes Jahr danach, Anfang März 2009, wird Vogelsang als Kreischefin demontiert: abgewählt ohne Vorwarnung.

Seitdem herrscht Krieg in der Neuköllner CDU. Finanzielle Unregelmäßigkeiten werden Vogelsang vorgeworfen. Von Verstößen gegen das Parteiengesetz ist die Rede. Das sind Vorwürfe, die gerade in der CDU einen sehr dunklen Unterton haben. Doch das ist es nicht allein. „Die Finanzgeschichten kamen noch on top obendrauf“, sagt jemand, der es wissen muss.

Die Antriebskräfte der Intrige gegen Vogelsang sind andere. Zuallerletzt haben sie etwas mit „liberal“ und „konservativ“ zu tun. Da gibt es Leute, die sich selbst auf dem Stadtratsposten sehen, den Vogelsang bis vor kurzem im Bezirksamt innehatte. Andere wollen ihren Einfluss vergrößern, um Chancen auf die Nominierung für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus zu haben. Noch andere grollen Vogelsang, weil sie Entscheidungen gegen sie getroffen hat. Geraunt wird von Grünland, das mithilfe der Stadträtin zu Bauland umgewidmet werden sollte, aber nicht wurde. Gemunkelt wird über ein Gesundheitszentrum, das zu fördern jemand sich vorgenommen hatte, der an Vogelsang scheiterte.

Ein weiteres Motiv wird von Kennern des Kreisverbands auf den Begriff „Zickenkrieg“ gebracht: Frauen nehmen Frauen übel, dass eine sich auf Kosten von anderen durchgesetzt hat. Das alles zeigt: In Neukölln haben sie komplett die Kontrolle über die Gerüchte verloren, die sonst im Innern der Partei bei ein paar Flaschen Berliner Kindl kursieren. In der Neuköllner CDU hat sich die üble Nachrede selbstständig gemacht.

Vogelsang hat in der Querele ihren Posten als Stadträtin verloren, weil CDU-Bezirksverordnete zusammen mit SPD-, Linken- und Grünen-Verordneten sie abwählten. Das wiederum hat einigen Gegnern in der CDU Parteiausschlussverfahren eingetragen. Vogelsangs Nachfolger als Kreischef, der Neuköllner Stadtrat Michael Büge, beauftragte eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Vogelsangs Finanzgebaren aufzuklären. Büge sagt, es sei um Klarheit gegangen. Doch mit der Klarheit soll wohl auch Belastendes gefunden werden. Der Wirtschaftsprüfer fand beim scharfen Blick auf das Kassenbuch allerlei „Beanstandungen“. Das begann mit Fehlbeträgen von 31 Euro und 75 Cent, ohne dass zu erkennen war, wie viel Geld die Kasse überhaupt enthalten hatte. Und es endete bei „nicht erfassten Einnahmen und Spenden“ in Höhe von 28 525 Euro in den Jahren 2006 und 2007. Wirtschaftsprüfer Stephan Eder kommentierte die Neuköllner Kassenproblematik mit der Bemerkung, solche Unregelmäßigkeiten kämen beim Parteigliederungen der unteren Ebene mit ihren ehrenamtlichen Schatzmeistern „immer wieder“ vor.

Bizarr die Szene, als Kreischef Büge mit seinem Stellvertreter Michael Freiberg am Montag den Bericht des Wirtschaftsprüfers vorlegte. Büge, im Hauptberuf Sozialstadtrat, und Freiberg legten Belastungsmaterial gegen Vogelsang vor. Uneingeladen war Sascha Steuer erschienen, ebenfalls stellvertretender Kreischef der Neuköllner CDU. Er hatte am anderen Ende des Tisches Platz genommen. Steuer ist schließlich Vogelsangs wichtigster Verbündeter. Ohne mit Steuer zu reden, hatte Büge den Wirtschaftsprüfer beauftragt. Ohne Steuer sollte auch das Ergebnis präsentiert werden. Am Ende der Vorstellung des Prüfberichts fragte Steuer Büge, was aus dem Bild geworden sei, das sonst an der Wand hing. Tatsächlich war nur eine Leerstelle mit zwei Strippen zur Aufhängung eines Rahmen zu sehen. Das Foto mit Vogelsang und ihm aus dem Jahr 2006 sei wohl, so Steuer zu Büge, vor der Präsentation des Prüfberichts abgehängt worden. Das gehört zu den derzeit üblichen Umgangsformen.

Vogelsang hat „Buchungsfehler“ zugegeben  – das ist alles. Ihr Lieblingsbeispiel: Beim jährlichen CDU-Ball hat sie einen Teil der Eintrittsgelder in bar benutzt, um einen Teil der Rechnung beim Veranstalter zu bezahlen. Vogelsang geht davon aus, dass ihre Selbstanzeige den Buchungsfehlern die böse Wirkung genommen hat, die diese haben können. Ohnehin rechnet sie anders. Die Neuköllner Finanzprobleme setzen sich aus zwei offenen Rechnungen zusammen, die aus einem teuren Wahlkampf 2006 resultieren.  17 000 Euro schulde der Kreisverband „unserer Druckerei“, dazu kommen 13 000 Euro Beitragsrückstände gegenüber dem Landesverband. Der Finanzbeauftragte der Bundes-CDU bewertet den Vorgang als sanktionslose Verstöße“, schrieb sie jetzt an Kreischef Büge.

So kommunizieren sie inzwischen in der Neuköllner CDU mit- oder besser gegeneinander: Vogelsang droht Büge „rechtliche Schritte“ an für den Fall, dass weiterhin von „schwarzen Kassen“ oder „Untreue“ die Rede ist. Büges politischer Weggefährte, Falko Liecke, BVV-Fraktionschef der CDU, will einen Anwalt beauftragen, wenn es um den angedrohten Parteiausschluss geht.

„Irre“ seien die Neuköllner, sagen CDU-Landespolitiker. Wenn die Leute auf der Führungsebene erst ins Reden kommen, schütteln sie die Köpfe bis zum Schleudertrauma über Vogelsangs Gegner. Gerade hatte sich der neue Landesvorstand um Frank Henkel gefunden und zur inhaltlichen Offensive ausgeholt. Jetzt sind sie entsetzt über den „Hass“, den sie in der Neuköllner CDU spüren.

So kann man das nennen. Sprüche vom Kaliber „Gefangene werden nicht gemacht“ und „Es gibt kein Zurück“ werden kolportiert, natürlich immer von der Gegenseite. Tatsächlich nimmt dieser Polit- Krieg in der Großstadt Neukölln die Beteiligten psychisch mit. In Britz sitzt ein CDU-Politiker in einem Gemeindesaal an einem Resopaltisch und sieht ganz einfach traurig aus. Man mag denken, Politikern mache der permanente Psycho-Nahkampf nichts aus, aber das täuscht.

Der Neuköllner CDU-Grande erzählt mit trauriger Stimme, dass ihn ständig Leute auf der Straße ansprechen auf das, was denn wieder los sei in der Partei. Man müsse doch zusammenarbeiten, sagt er. Da versuchen sie in diesem nicht ganz einfachen Sozialgefüge Neukölln, den kleinen Leuten das Leben etwas angenehmer zu machen – und alles verschwindet hinter diesem Gegeneinander.

Es ist wie in den finsteren Jahren nach dem Bankenskandal. Auch Vogelsang zeigte Nerven. Sie wirkte robust und lächelte noch tapfer, als in der Neuköllner Bezirksverordnetenversammlung ihre Abwahl perfekt war und sogar der Gesichtsausdruck ihres Antipoden, des SPD-Bezirksbürgermeisters Heinz Buschkowsky zu gefrieren schien wegen der Kälte im Raum. Doch CDU-Größen merkten an der Stimme, dass sie schwächelte.

Dass Vogelsang aufgibt, glaubt auch Sabine Toepfer-Kataw nicht. Sie gehört zu Vogelsangs Gegnerinnen, weil sie den Eindruck hat, dass es der Kreisvorsitzenden und Stadträtin Vogelsang bei aller Kümmerei nur um eins ging: um sich. Toepfer stört sich an Vogelsangs „Art, die Partei zu führen und als persönliches Eigentum zu nehmen“. Genau das komme doch zum Ausdruck in den „Unregelmäßigkeiten“. Vogelsang habe sich nicht geändert, sagt die Britzer Ortsverbandsvorsitzende und erinnert daran, dass Vogelsang vor vielen Jahren von einem anderen Großen der Neuköllner Politik, von Dankward Buwitt, mit 4000 Mark aus einer Parteispende bedacht wurde. Da ist sie wieder, die unselige Parteispendenaffäre von 1995, die Eberhard Diepgen und Klaus Landowsky im Jahr 2001 um die Macht brachte. „Die CDU braucht einen Schnitt“, sagt Toepfer-Kataw und meint damit Vogelsang.

Ein paar Wochen muss Stefanie Vogelsang noch durchhalten. Bis zum 23. Juli kann ein Direktkandidat abberufen und ein neuer nominiert werden. Nichts deutet darauf hin, dass Vogelsangs Gegner das schaffen. Und dann? Man mache Wahlkampf, sagt Sascha Steuer selbstbewusst. Vogelsang teilt Büge mit, sie wolle dabei helfen, dass „Außenstände ausgeglichen werden“. Und sie kündigt an, sich „auch als Bundestagsabgeordnete für das Wohl unserer Kreispartei einzusetzen – politisch wie finanziell“.

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