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Verwahrlosung: Kinder allein - Mutter im Urlaub

Fünf Fälle von Verwahrlosung wurden am Wochenende in Berlin und Brandenburg aufgedeckt. Die Bezirke kommen jedoch wegen Personalmangels mit der Jugendhilfe kaum hinterher.

Von Sabine Beikler

Fast jeden Tag werden Fälle von Kindesvernachlässigungen, Verwahrlosungen oder Misshandlungen bekannt. Allein am vergangenen Wochenende fand die Polizei in Berlin und im brandenburgischen Fürstenwalde zehn vernachlässigte und verwahrloste Kinder in Wohnungen vor. Alle Kinder im Alter zwischen sechs Monaten und zehn Jahren wurden vorläufig beim Kindernotdienst untergebracht. Doch die zuständigen Jugendämter kommen aus Personalmangel mit der Jugendhilfe kaum hinterher. Nach einem Brandbrief, den die Jugendstadträte wie berichtet an den Senat geschrieben haben, werden die Stadträte in einem internen Schreiben, das dem Tagesspiegel vorliegt, sehr deutlich: Sie sprechen von einer „dramatischen Entwicklung“, die von der Finanz- und Jugendverwaltung „vollständig“ ignoriert werde. „Wir brauchen dringend unbürokratische Außeneinstellungen. Wir wollen nicht mehr Geld, sondern Personal für unbesetzte Stellen“, fordern Jugendstadträte wie Rainer-Maria Fritsch aus Mitte und seine Amtskollegin Monika Herrmann aus Friedrichshain-Kreuzberg. Am Freitag treffen sich die Jugendstadträte mit Jugendsenator Jürgen Zöllner (SPD).

Zurzeit sind laut den Jugendstadträten mehr als 45 Sozialarbeiterstellen unbesetzt. Weitere 72 Stellen kommen in den nächsten 18 Monaten aufgrund altersbedingter Abgänge hinzu. Gab es 2003 noch 1484 sozialpädagogische Fachkräfte in den Jugendämtern, waren nach einer internen Berechnung im Vorjahr nur noch 1280 Fachkräfte tätig. Die Jugendstadträte kritisieren ferner, dass der Stellenpool die Jugendämter „blockiere“, bei der Senatsfinanzverwaltung Anträge auf Außeneinstellungen zu stellen. „Wir müssen erst einen gewissen Zeitraum abwarten, in dem geeignetes Personal gesucht wird, und dann können wir erst Anträge auf Außeneinstellungen stellen“, sagte Fritsch.

Die Finanzverwaltung weist die Vorwürfe zurück. Die Stellen für Sozialarbeiter seien in den Bezirken zwar sehr unterschiedlich verteilt. Doch sehe man keinen Bedarf, weitere Stellen zu besetzen, sagte Sprecherin Kristina Tschenett. Zurzeit gebe es im Stellenpool 80 Sozialarbeiter, davon hätten 25 einen Fachhochschulabschluss. Den Jugendverwaltungen sind vom Senat für die Umsetzung des Netzwerks Kinderschutz zwei zusätzliche Stellen pro Bezirk versprochen worden. Sechs davon kommen aus dem Stellenpool, acht werden intern in den Behörden umgeschichtet. Außerdem hat Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) zehn Neueinstellungen zugesagt.

Nach wie vor ungeklärt ist die Frage, wie weitere Stellen im Kinderjugend- und Gesundheitsdienst besetzt werden. Wie berichtet sollen die Gesundheitsämter zwei zusätzliche Stellen pro Bezirk erhalten. Doch es gibt koalitionsinternen Streit darüber, wie diese Stellen besetzt werden. Ursprünglich wollte sich der Senat heute damit befassen, doch das Thema wurde vertagt.

Ob den verwahrlosten Kindern, die am Wochenende gefunden wurden, vorher hätte geholfen werden können, ist offen. In Charlottenburg-Wilmersdorf entdeckte die Polizei nach Hinweisen am Freitag ein dreijähriges Mädchen in einer völlig vermüllten Dreizimmer-Wohnung: Der Fußboden war mit Müllsäcken, Unrat und Dreck bedeckt, die Wohnzimmerdecke mit Fliegenschwärmen übersät. Es gab weder passende Kleidung für das Mädchen noch kindgerechtes Essen. Die Tochter einer 22-jährigen Mieterin wurde in Obhut des Kindernotdienstes gegeben. Die Charlottenburger Jugendamtsleiterin Uta von Pirani konnte gestern nicht sagen, ob die Familie der Behörde bekannt war.

In Marzahn-Hellersdorf alarmierte ein Mieter die Polizei, nachdem sich ein Kind einer Mieterin an ihn gewandt hatte, weil es Durst hatte: Drei Kinder – ein zehnjähriger Junge, ein fünfjähriger Junge und ein sechsjähriges Mädchen – waren allein in der Wohnung. Die 30-jährige Mutter verbrachte einen Urlaub an der Ostsee, ein 19-jähriger Bekannter sollte auf die Kinder aufpassen. Auch diese Wohnung war in einem stark verschmutzten Zustand. Die Kinder wurden dem Kindernotdienst übergeben. Fünf ebenfalls vernachlässigte Kinder wurden in einer verwahrlosten Wohnung in Fürstenwalde gefunden worden. Der Notdienst des Jugendamtes brachte auch in diesem Fall die Kinder vorläufig unter.

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