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Volksentscheide: Was das Volk begehrt

2,4 Millionen Menschen haben am Sonntag die Wahl: Der Volksentscheid zu Pro Reli bestätigt Berlin als Hauptstadt der direkten Demokratie.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Mit bisher 20 Volksbegehren und -initiativen sowie 26 bezirklichen Bürgerbegehren kann Berlin den Anspruch erheben, Hauptstadt der direkten Demokratie zu sein. Der Flughafen Tempelhof als Weltkulturerbe, die Reform des Wahlrechts, mehr Geld und Personal für die Kitas, kein Rauchverbot in Kneipen, transparente Wasserpreise und ein Wahlpflichtbereich Ethik/Religion: Das sind die Themen, mit denen sich das Volk auf Landesebene aktuell befassen darf.

In den Bezirken gibt es derzeit zwei Plebiszite. Es geht um die Gestaltung der Rathausbrücke in Mitte und, noch einmal, um die Erhaltung des Tempelhofer Flughafens als Denkmal. Über diesen Bürgerentscheid wird in Tempelhof-Schöneberg am 7. Juni, gemeinsam mit der Europawahl, abgestimmt.

Neuen Schwung bekam die „Volksdemokratie“ mit einer Änderung der Berliner Verfassung im Herbst 2006. Die Hürden für die Unterschriftensammlung und die Zustimmungsquoren wurden erheblich gesenkt. Ein Jahr später wurde das Abstimmungsgesetz reformiert, um Volksbegehren organisatorisch zu erleichtern. Seitdem ist es möglich, Unterschriften auf der Straße zu sammeln. Vorher mussten die Leute ins Rathaus laufen. Auch der Verein „Mehr Demokratie“, der bundesweit für einen größeren Einfluss der Bürger auf Gesetzgebung und Regierungshandeln wirbt, ist zufrieden. Zwar sei die Anfangseuphorie vorbei, aber Volks- und Bürgerbegehren seien in Berlin zum „festen Bestandteil der politischen Landschaft“ geworden.

Die bislang spektakulärste Volksabstimmung, die sogar im Ausland Beachtung fand, war der Entscheid zum Flughafen Tempelhof am 27. April 2008. Das Plebiszit scheiterte. Ohnehin ging es bei diesem Volksentscheid um eine rechtlich unverbindliche Frage. Selbst im Erfolgsfall wäre die Forderung, den City-Airport offen zu halten, nur ein politischer Appell gewesen, vergleichbar mit einer parlamentarischen Resolution. Bei Pro Reli ist das anders: Da wird verbindlich über das Schulgesetz entschieden.

Andere Volksbegehren, etwa zu den Kitas, Wasserpreisen oder der Wahlreform, hat der Senat aus juristischen oder finanziellen Gründen nicht oder nur teilweise zugelassen. Die jeweiligen Initiatoren klagen dagegen vor dem Landesverfassungsgericht und hoffen auf Grundsatzurteile, die endgültig klären, worüber das Volk entscheiden darf – und worüber nicht. Bei den bezirklichen Bürgerentscheiden gibt es andere Probleme. Sie haben nur eine begrenzte Wirkung – vor allem dann, wenn der Senat – wie beim Projekt Mediaspree – Landesinteressen ins Spiel bringt. Dann werden auch erfolgreiche Bürgerentscheide schnell unverbindlich.

Eines hat die direkte Demokratie erreicht: Es wird über wichtige kommunale Probleme intensiv und auf breiter Basis diskutiert. Senat und Bezirksämter sind jeweils gezwungen, für ihre Politik gute Argumente zu finden. Voraussichtlich werden sich alle Fraktionen im Abgeordnetenhaus Anfang 2010 zusammensetzen, um die rechtlichen Grundlagen für Volks- und Bürgerentscheide weiter zu verbessern.

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