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Berlin: Lauschangriff-Gegnerin leitet Geheimdienst: Datenschützerin Claudia Schmid als Verfassungsschutz-Chefin berufen

Anfang der 90er Jahre, die Koalition aus CDU und FDP wollte den Großen Lauschangriff einführen, stellte sich Claudia Schmid gegen ihre eigene Partei. Der Große Lauschangriff, das Abhören von Privatwohnungen, sei ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Bürgerrechte, argumentierte die FDP-Politikerin und forderte ihre Partei auf, das neue Gesetz abzulehnen.

Anfang der 90er Jahre, die Koalition aus CDU und FDP wollte den Großen Lauschangriff einführen, stellte sich Claudia Schmid gegen ihre eigene Partei. Der Große Lauschangriff, das Abhören von Privatwohnungen, sei ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Bürgerrechte, argumentierte die FDP-Politikerin und forderte ihre Partei auf, das neue Gesetz abzulehnen. Die FDP befragte ihre Mitglieder in einer Urabstimmung, der linksliberale Flügel unterlag, der Große Lauschangriff wurde eingeführt. Für Schmid, die stellvertretende Berliner Datenschutzbeauftragte, war es auch eine persönliche Niederlage.

Keine zehn Jahre später wird Schmid genau das anordnen müssen, was sie damals kritisierte: Sie wird Wohnungen überwachen, Telefone anzapfen, Briefe öffnen lassen. Denn Schmid, 44, wird zum Anfang des Jahres neue Leiterin des skandalgeschüttelten Berliner Verfassungsschutzes. Gestern stellte sie Innensenator Eckart Werthebach (CDU) der Öffentlichkeit vor - als "Weihnachtsgeschenk", wie der Senator scherzte, schließlich war der Berliner Geheimdienst fast ein halbes Jahr lang führungslos.

Claudia Schmid erwartet ein schwieriges Amt: Die Hälfte der 214 Verfassungsschützer soll frisch eingestellt, der Rest neu motiviert werden. Das ehemals eigenständige Landesamt wird nach diversen Skandalen künftig als Abteilung der Innenverwaltung geführt. Die seit fast 20 Jahren verheiratete Claudia Schmid ist wie alle bisherigen Verfassungsschutz-Leiter Juristin - vor Skandalen hat die juristische Ausbildung ihre Vorgänger indes nicht geschützt. "Fehler" seien gemacht worden, sagt Schmid, in Zukunft solle aber alles "streng rechtstaatlich und transparent" zugehen. "Bürgernah" und "offen" stellt sich Claudia Schmid einen guten Geheimdienst vor, und analytisch solle er arbeiten - ein "moderner Hauptstadt-Verfassungsschutz" eben. Eine Bürgerrechtlerin an der Spitze, das ist für den Berliner Nachrichtendienst, der konspirierte und intrigierte, eine Revolution. Die größte Herausforderung wird sein, ihre neuen Mitarbeiter für diese Veränderungen zu begeistern.

Mit Geheimdiensten hat Schmid schon seit zehn Jahren zu tun. Seit 1990 arbeitet sie beim Berliner Datenschutzbeauftragten, zuständig auch für die Beratung und Kontrolle des Verfassungsschutzes. Diverse Pannen und Affären hat sie intensiv begleitet, beim neuen Verfassungsschutz-Gesetz hat sie persönlich mitformuliert. "Das Berliner Gesetz ist hinsichtlich des Einsatzs nachrichtendienstlicher Mittel sehr streng", sagt Schmid. Und weil deshalb auch der Große Lauschangriff nur ganz selten vorkommen darf, hält Schmid ihr neues Amt für "vertretbar, schließlich geht es ohne nachrichtendienstliche Mittel nicht."

Schmid, die früher in der Finanz- und Schulverwaltung arbeitete, ist keine Extremismus-Expertin, aber der bisherige Leiter des Polizeilichen Staatsschutzes, Peter-Michael Haeberer, könnte als ihr designierter Vize eine hervorragende Ergänzung sein. Am 2. Januar wird Schmid ihr Büro beim Verfassungsschutz beziehen. Vorher will sie noch ein paar Tage Urlaub machen - Kraft schöpfen für ein anstrengenden Job.

Holger Stark

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