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Birte Brodkorb lebt in Tel Aviv, aber Berlin fand sie auch gefährlich - zumindest beim Radfahren.

© Lizzy Kaufmann

Berliner in Israel während der Gaza-Krise: Leben zwischen Angst und Alltag

Die Lage in Nahost ist angespannt. Berliner, die in Israel leben, geraten plötzlich in den Krieg. Warum kehren sie trotzdem nicht zurück?

Es begann vor gut einer Woche, Birte Brodkorb stellte sich plötzlich vor dem Duschengehen nur noch eine Frage: Was mache ich eigentlich, wenn genau jetzt die Sirenen losgehen? Springe ich dann halb nackt mit dem Handtuch auf den Hausflur, wo auch alle meine Nachbarn stehen? Und was mache ich, wenn ich auf der Toilette bin? „Und dann ist mir das letzte Woche tatsächlich passiert, ich war gerade auf der Toilette, als die Sirenen losgingen. Ich hab mich beeilt und bin dann nach draußen“, erzählt sie und kann in diesem Moment sogar lachen über ihren Alltag in Tel Aviv, wo sie seit zweieinhalb Jahren lebt.

Die 35-jährige Doktorandin ist in Steglitz aufgewachsen und hat Jura an der Freien Universität studiert. Seit vergangener Woche erlebt sie, wie mehrmals täglich Raketen aus dem Gazastreifen abgefeuert werden. Das israelische Abwehrsystem Iron Dome hat bisher alle Raketen über dem Himmel von Tel Aviv abgefangen. Die allgemeine Erfolgsquote liegt laut Armee bei 90 Prozent. Ein Restrisiko bleibt. Und so läuft auch Birte los, wenn die Sirenen heulen.

Trotz Raketen am Strand

„Es ist schon interessant, mit wem man plötzlich zusammen in einen Schutzraum rennt“, erzählt ihre Freundin Margret Müller, die derzeit zu Besuch ist. Die 30-jährige Berlinerin kommt schon seit Jahren immer wieder nach Tel Aviv, hat hier länger gelebt und nicht nur den letzten Krieg, sondern auch die erste Intifada miterlebt, als immer wieder Busse in die Luft gesprengt wurden. „Angst macht mir derzeit vor allem die Perspektivlosigkeit.“

Margret Müller ist gerade zu Besuch in Tel Aviv, wo sie längere Zeit auch gelebt hat.

© Lizzy Kaufmann

Birte und Margret gehen trotz der Raketen an den Strand, in die Bars oder zum Tanzen. Das Leben geht weiter, vor allem in einer Stadt wie Tel Aviv, die sich nicht abbringen lassen möchte von ihrem auch sonst so aufregenden Alltag. Doch Birte spürt die Anspannung auch hier: „In der Kletterhalle, in der ich manchmal bin, ist es in den vergangenen Tagen leerer geworden.“ Sie überlegt sich seit Beginn des Krieges oft, wann sie wo hingeht. Die WM-Spiele hat sie statt am Strand lieber in der Stadt in der Nähe zu Schutzräumen geschaut. Sie verlasse sich auch auf die Erklärung ihres Vaters: Eine Rakete der Hamas könnte gar nicht mehr so viel Sprengstoff beinhalten, wenn sie in Tel Aviv ankomme, sagt der immer.

Doch so locker waren Birte und auch ihre Eltern nicht immer. Sie war schon während des letzten Krieges 2012 in Israel. „Damals dachte ich, ich muss sofort meinen Reisepass suchen und zum Flughafen fahren.“ Ihre Eltern hatten Angst. Doch Birte hatte ein ziehendes Argument: „Ich habe in Berlin zwischen Kottbusser Tor und Hermannplatz gewohnt. Die Chance, dort mit dem Fahrrad einen Unfall zu haben ist größer, als hier von einer Rakete getroffen zu werden.“

Birte ist hin- und hergerissen: Einerseits muss sie immer wieder an den Gazastreifen denken, wo die Menschen keine Sirenen haben, keine Schutzräume und keinen Iron Dome. Andererseits ist ihr Lebensmittelpunkt derzeit in Israel. „Der beste Freund meines Freundes ist gerade eingezogen worden, natürlich hat man da Angst.“ Doch Birte will bleiben.

Der erste Alarm, ein Schock

Wie auch Matthias Achenmacher. Es ist sein letzter Monat in Jerusalem, 60 Kilometer östlich von Tel Aviv. Fast ein Jahr war er dort als Freiwilliger der Aktion Sühnezeichen. Als er letztes Jahr ankam, wurde er auf alles vorbereitet: Sollte es jemals dazu kommen, dass die Sirenen ertönen, sollte er wie alle anderen auch in den Hausflur gehen, warten, bis es knallt, und dann am besten noch zwei Minuten in Sicherheit bleiben. Damals hatte er nicht damit gerechnet, dass er diese Infos einmal brauchen würde.

Matthias Achenmacher wohnt derzeit in Jerusalem. Er macht dort sein Freiwilliges Soziales Jahr, das in einem Monat endet.

© privat

Doch vergangene Woche war es so weit: „Ich habe gerade mit meinem Mitbewohnern darüber gesprochen, dass eventuell auch Raketen auf Jerusalem geschossen werden. Genau in dem Moment ging es los“, erzählt er. „Der erste Alarm war ein Schock, doch die Israelis sind so routiniert. Man gewöhnt sich sehr schnell daran.“

Seinen Eltern zu Hause in Jungfernheide hat er gesagt, dass sie auch israelische Medien lesen sollen, die die Ereignisse live tickern. Es beruhige, zu wissen, was gerade passiert und es helfe, zu verstehen, dass der Alltag weitergeht und Matthias weiter zur Arbeit muss: „Ich kann meine Leute hier nicht alleine lassen“, sagt er und meint Senioren, die er als Freiwilliger betreut. Viele Holocaustüberlebende, aber auch arabische Israelis. Gerade jetzt werde viel diskutiert, auch gestritten. Doch letztlich eint die Furcht vor den Raketen – sowohl die arabischen und die jüdischen Israelis als auch die Berliner in Israel. In der ersten Nacht habe er schlecht geschlafen und das dann am nächsten Morgen bei der Arbeit erzählt. Die Antwort seiner arabischen Kollegin half auch ihm: „Ja, wir haben hier alle Angst.“

Unsere Autorin berichtete aus Tel Aviv.

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