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Berlin: „Lehrer müssen mehr und besser arbeiten“

Schulsenator Klaus Böger über Lehrerfrust und Leistung. „Wir haben das Problem nichtdeutscher Jugendlicher viel zu lange ignoriert.“

Das Schuljahr beginnt am Montag. Die Lehrer müssen früher aus den Ferien zurückkommen, mehr arbeiten, kriegen weniger Geld. Die Stimmung ist schlecht. Können Sie sich noch in den Schulen blicken lassen?

Ich halte nichts von Miesmacherei. Natürlich kann ich das. Aber ich bestreite nicht, dass wir vor ganz großen Herausforderungen stehen. Wir müssen die Qualität unseres Bildungssystems verbessern. Wir brauchen eine Stärkung der Eigeninitiative der Eltern, erzieherisch und leider auch finanziell. Und es ist wahr, dass die Lehrerinnen und Lehrer mehr und besser arbeiten müssen. Und das sogar bei Gehaltsreduzierung.

Wie wollen Sie den Frust der Lehrer, die sich vom Senat über den Tisch gezogen fühlen, in den Griff bekommen?

Das Paket ist geschnürt. Man muss doch auch sehen, dass den beamteten Lehrern ein zusätzlicher Freizeitausgleich gegeben wird. Ihnen werden zwei der drei Präsenztage in den Ferien erlassen und sie erhalten als Gutschrift zusätzlich fünf freie Tage pro Jahr. Die GEW hat offensichtlich nicht begriffen, was von Anfang an klar war, dass es für die beamteten Lehrer keine Herabsetzung der Stundenzahl geben kann, weil das mehr Stellen und damit mehr Geld kostet. Möglich wäre aber beispielsweise, wie der Beamtenbund vorgeschlagen hat, die Stundenreduzierung auf andere Art aus dem Bildungsetat zu finanzieren, indem man etwa Ermäßigung für Klassenlehrer streicht. So hätten wir den Stundenwert von 500 Stellen und könnten bei jenen, die zwei Stunden mehr arbeiten müssen, eine Stunde reduzieren. Darüber könnte man mit der GEW reden – aber gerechter ist das auch nicht.

Also gibt es noch einen gewissen Spielraum?

Es gibt immer Spielraum, so lange das Kostentableau nicht überschritten wird. Es sind dann InSich-Verteilungen im Bildungsetat. Da bleibt nur ein relativ schmaler Korridor. Ich kann nur appellieren, dass die Lehrer ihre Verärgerung nicht an Schülern ablassen. Ich bin mir aber sicher, dass der überwiegende Teil ein so hohes Berufsethos hat, dass dies ohnehin nicht geschieht.

Sie sagen, die Lehrer müssen besser arbeiten. Haben sie bisher schlecht gearbeitet?

Nein. Nach Pisa wissen wir aber, dass das Bildungssystem in Deutschland bloß Mittelmaß hat. Deshalb müssen wir die Qualität des Unterrichts verbessern – aber ohne zusätzliche Stellen. Da bin ich mit dem Finanzsenator einig.

Auch die Eltern erwarten endlich mehr Qualität. Dazu gehören die neuen Ganztagsgrundschulen. Können diese wie angekündigt nach den Sommerferien ihren Betrieb aufnehmen?

Wir sind bei den Ganztagsangeboten bundesweit Spitze und werden sie weiter ausbauen. Weitere 17 Schulen kommen jetzt hinzu. Das geht in den nächsten Jahren weiter. In Neukölln werden wir allerdings später starten, weil dort die Umbauten umfangreicher sind.

Veränderungen merken die Eltern auch beim Thema Schulbücher. Erstmals müssen sie dafür zahlen. Ist gewährleistet, dass alle Kinder am Montag Bücher haben werden?

Beim ersten Mal gibt es immer Probleme. Aber ich bin sicher, dass die Neuregelung sich einspielt. In anderen Bundesländern funktioniert es doch auch. Aus vielen Schulen habe ich Rückmeldungen, dass es glänzend läuft. Selbst wenn es am Montag oder Dienstag in einigen der 850 Schulen noch nicht klappt, ist das ein Problem, das sich mit der Zeit löst.

Sie wollen Eltern nicht nur finanziell fordern…

Eltern sind gefordert, wenn wir die Qualität der Bildung verbessern wollen. Sie sollen sich noch stärker um die Bildung ihrer Kinder und eine pädagogisch anregende Freizeit kümmern. Vorlesen ist ja nicht verboten. Es gibt so viele Angebote in dieser Stadt, die Eltern mit ihren Kindern wahrnehmen können. Sie sollten sich mehr an der Schulpolitik beteiligen und ihre Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte wahrnehmen. Ein großes Problem ist dabei, die so genannten bildungsfernen Schichten anzusprechen.

Der Druck der qualitätsbewussten Eltern nimmt zu. Viele Eltern setzen auf die zweisprachige Erziehung. Vor den Verwaltungsgerichten gibt es eine Klagewelle um die Zulassung. Bedeutet dies einen Abschied von der Kiez- oder Einheitsschule?

Die einheitliche Kiezgrundschule gibt es in Berlin schon lange nicht mehr. Nahezu jede Grundschule hat bestimmte Profile. Ob diese dann jeweils dem Geschmack der Eltern entsprechen, ist eine andere Frage. Wir haben viele bilinguale Angebote, Europaschulen und die internationale staatliche Gesamtschule sowie eine erste Fremdsprache in der Grundschule ab der dritten Klasse. Darum beneiden uns viele Länder. Aber ich kann nicht alle Wünsche der Eltern erfüllen. Bei den bilingualen staatlichen Schulen habe ich natürlich mehr Anmeldungen als Plätze. Dann kommt es eben bei der Vergabe zu Klagen.

Viele Eltern möchten ihr Kind schon ab der fünften Klasse aufs Gymnasium schicken. Sie haben darauf mit der Differenzierung in der 5. und 6. Klasse der Grundschule reagiert. Wird die Nachfrage auf grundständige Gymnasien geringer?

Noch nicht. Aber für die sechsjährige gemeinsame Grundschule gibt es auch nach Pisa sehr starke Argumente und große Zustimmung. Entscheidend sind die Qualitätsverbesserungen. Die Differenzierung in den Fächern Deutsch, Mathematik und der Fremdsprache wird Wirkung zeigen. Wir müssen besser auf die unterschiedlichen Schüler eingehen: Die Starken stärken und die Schwächeren fördern. Das ist kein Widerspruch und es widerspricht auch nicht der geforderten Chancengleichheit. Die Differenzierung ist an vielen Schulen eingeführt, aber ich muss sie im Schulgesetz noch als Regelfall durchsetzen. Da wird es noch eine Auseinandersetzung mit der PDS geben.

Kommt die Differenzierung nicht, dann verliert die Grundschule endgültig zugunsten der grundständigen Gymnasien.

Ja, dann wird es sehr schwer, die Akzeptanz von Grundschulen weiter zu erhöhen.

Es ist den Eltern kaum zu vermitteln, warum im neuen Schulgesetz der Weg zum Abitur nur um wenige Monate verkürzt wird, wenn gleichzeitig der Senat den großen Schritt zum zwölfjährigen Abitur vorbereitet.

Ich gebe zu, das ist verwirrend. Wir haben anfänglich angestrebt, das Abitur nach zwölfeinhalb Jahren abzulegen. Jetzt wollen die Koalitionsparteien SPD und PDS gleich einen großen Schritt tun. Dafür war ich sowieso immer. Dem steht nun auch nichts mehr im Wege. Ich habe erreicht, dass die Kulturministerkonferenz zugesteht, dass die sechsjährige Grundschule auch beim Abitur nach zwölf Jahren erhalten bleiben kann. Wir werden deshalb noch in diesem Jahr die Verkürzung um ein Jahr beschließen. Dann könnten wir in das Abitur nach zwölf Jahren im Schuljahr 2004/2005 einsteigen. 2011 könnten dann die ersten Schüler das Abitur nach zwölf Jahren ablegen. Die Schnellläuferklassen sollen dann entsprechend das Abitur nach elf Jahren ablegen.

Noch eine Herausforderung ist die Förderung von nicht-deutschen Schülern, die sehr häufig die Schulen ohne Abschluss verlassen.

Da müssen wir noch viel tun. Es gibt in diesem Bereich eine einzige gute Nachricht: Dass Politik und Gesellschaft endlich den Dingen voraussetzungslos ins Auge sieht und die Probleme benennt. Wir haben diese Probleme viel zu lange ignoriert, auch in meinem Hause. Da standen uns die Ideen von Multikulturalität im Weg oder die Befürchtung, die Benennung dieser Probleme könnte als Ausländerfeindlichkeit ausgelegt werden. Wir haben bis 1996 nicht einmal ermittelt, wie viele ausländischstämmige Jugendliche ohne Abschluss bleiben. Die hohe Kriminalitätsrate unter ihnen ist auch eine Auswirkung davon, dass 25 Prozent der türkischen Berliner überhaupt keinen Hauptschulabschluss machen. Wir müssen in der Schule auf bestimmte kulturelle und normative Standards drängen, wie die Gewaltfreiheit, die von allen Schülern einzuhalten ist. Es ist keine Zwangsgermanisierung, dass wir selbstverständlich erwarten, dass Deutsch gelernt wird. Wir wollen zielgerichtet fördern und werden mit zusätzlichem Personal und Maßnahmen gegensteuern. Wir wollen damit die Schulabbrecherquote reduzieren. Ich bin dafür, Schüler künftig erst dann in die dritte Klasse zu versetzen, wenn sie ausreichend Deutsch können. Das ist keine Selektion oder Diskriminierung, wie manche kritisieren, sondern erst die Voraussetzung, um erfolgreich zu lernen.

Das Gespräch führten Sigrid Kneist und Gerd Nowakowski.

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