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© Uwe Steinert

Lichtenberg: Zum Bürgerfest in der Stasi-Zentrale kamen Tausende

Zum Bürgerfest in der Stasi-Zentrale kamen gestern Tausende. Manche weinten.

Veronika ist vorbereitet: auf einem  Zettel hat sie sich mit rotem Kugelschreiber einen Zeitplan notiert. „Ich will hier so viel wie möglich mitbekommen“, sagt die 18-Jährige, die noch gar nicht geboren war, als Tausende DDR-Bürger vor 20 Jahren die Stasi-Zentrale in Lichtenberg besetzten.

An diesem Sonnabend schieben sich ebenfalls Tausende Besucher über das Gelände in der Ruschestraße, denn Marianne Birthler, die Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen, hat zum Bürgerfest geladen. Veronika ist schon durch die Büroräume von Erich Mielke gelaufen, dem ehemaligen Minister für Staatssicherheit. „Solche Sechzigerjahremöbel hätte ich auch gerne“, sagt sie, und läuft hinüber in das Haus Nummer sieben, um sich die Lesung der Autorin Susanne Schädlich anzuhören – die in ihrem Buch „Der Westen, die Stasi und ich“ davon erzählt, wie der DDR-Geheimdienst ihre Familie zerstören wollte. „So richtig vorstellen kann ich mir nicht, wie das damals gewesen ist“, sagt Veronika noch, und auch, dass sie sich später unbedingt eine Karte für das Konzert von Jan-Josef Liefers holen muss, der am Abend in der Kantine spielen wird.

Andere Besucher können sich hingegen noch sehr gut an früher erinnern. Einer Frau um die 40 hat wohl die Erinnerung die Tränen in die Augen getrieben, sie eilt die Treppe hinunter und will nur noch eines: raus. Dort muss sie sich um Dutzende Besucher herum zur U-Bahn durcharbeiten, die in der Kälte warten, um eine Führung über das Gelände mitzumachen. „Die Stasi hat hier so unglaublich viel Platz gehabt, das möchte ich gerne genauer sehen“, sagt Richard Honz, der gerade ein paar Tage Urlaub in Berlin macht und aus dem Erzgebirge kommt. Im Erdgeschoss von Haus sieben hat er vorher mit einer Sachbearbeiterin darüber gesprochen, wie man einen Antrag stellt auf Einsicht in die eigenen Stasi-Akten: „Eigentlich hatte ich beschlossen, das nicht mehr zu machen, aber irgendwie reizt es mich jetzt doch.“ Ganz oben in Haus sieben, im Archiv der Zentralstelle der Stasi-Unterlagenbehörde, steht eine lächelnde Archivarin neben ihrem Arbeitsplatz, einem riesigen Schrank beziehungsweise mehreren davon: Die Karteikarten, die sie nach den Namen der Antragsteller durchsucht, stecken darin. Wenn man sie öffnet, sehen sie aus wie Kioske. Und geben den Blick frei auf Dutzende Fächer mit den brisanten, bunten Blättern.

Genaueres über die Arbeit des DDR-Geheimdienstes erzählt Stephan Konopatzky von der Birthler-Behörde im Erdgeschoss – am Beispiel von Adolf Kanter, den die Stasi „Fichtel“ nannte. Kanter arbeitete als Lobbyist für den Flick-Konzern – und hat der Stasi mehr als 1800 Informationen zugespielt. Neben dem kleinen Raum steht DDR-High-Tech: Computer und Tastaturen von Robotron. Und ein kleiner Aktenvernichter. Mit hoher Stimme erklärt in Raum 501 ein Offizier der Staatssicherheit, wie man Kontakte zu westlichen Informanten pflegt – in einem Schulungsfilm des MfS: Er rät seinen Schülern dazu, den Kontakten einen freundschaftlichen Anschein zu geben und diese Beziehungen auch durch gelegentliche finanzielle Zuwendungen zu intensivieren.

Widersetzt hat sich den Anwerbeversuchen der Staatssicherheit Mario Röllig, der in der Dokumentation „Gesicht zur Wand“ von seiner Zeit im Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen berichtet und an diesem Sonnabend auch in die Stasi-Zentrale gefahren ist. „Ich komme heute viel besser mit meinen Erlebnissen zurecht als früher“, sagt er. Die Erinnerungen werde er natürlich trotzdem nicht los – vor allem, wenn unangemeldete Besucher an seiner Tür klingeln. Oder wenn es, wie hier in der Ruschestraße, nach Linoleum riecht.Rita Nikolow

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