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Berlin: London droht bei Flut Milliardenschaden

Nach britischen Untersuchungen ist der Klimawandel weiter fortgeschritten als bisher vermutet

Leise brummen die Ventilatoren in den kleiderschrankgroßen, arktikblauen Kästen. Man hatte sich im Hadley Centre für Klimaforschung den NEC Supercomputer SX6 ein bisschen größer vorgestellt und die Computerhalle ein bisschen zu großzügig gebaut. Nun wirken die drei Blöcke mit jeweils 20 Schränken fast ein bisschen verlassen hier. Gelegentlich schaut jemand vorbei, zieht sich blaue Plastikschützer über die Schuhe, wie Ärzte im Operationssaal. Aber meistens summt der Computer allein vor sich hin und rechnet. SX6 rechnet das Klima durch. In Halbstundenschritten, für die nächsten hundert Jahre. Und die Ergebnisse sind nicht gut. Aber das Wissenschaftszentrum ist in seinem supermodernen Neubau in Exeter gut gerüstet. Durch das überglaste Atrium sprudelt ein Kunstbächlein, es herrscht angenehmes Kunstklima, auch wenn die Herbstsonne draußen noch auf die milde, altenglische Art scheint.

Es gibt mehrere miteinander konkurrierende Klimamodelle. Jedes rechnet anders und mit anderen Ergebnissen. Aber im Trend sind sich die Forscher einig. Es wird wärmer: zwischen 1,4 und 5,8 Grad. „Wir kämpfen jetzt um das Klima in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts“, fasst Geoff Jenkins die Lage zusammen. „Für die nächsten Jahrzehnte stehen die Folgen des Klimawandels schon fest. Damit müssen wir leben“. Bis er vor kurzem in Pension ging, war Jenkins Chef des Hadley Centre, eines der angesehensten Klimaforschungszentren der Welt. Aber so schnell lässt einen die Klimaforschung nicht los. So erläutert er nun Besuchern, worauf es wirklich ankommt. 2,7 Grad Celsius. Das ist die lokale Temperatursteigerung, die genügen würde, um die Eiskappe über Grönland abzuschmelzen. Um 2080 wäre der „point of no return“ erreicht – wenn die CO2 Emissionen weiter steigen wie bisher.

Um dem Supercomputer die Arbeit zu erleichtern, hat man im Hadley Centre die Welt in Planvierecke von longitudinal 3,75 Grad und latitudinal 2,5 Grad aufgeteilt. Auf diesen Vierecken steht eine 30 Kilometer hohe Säule, die in 19 Würfel unterteilt ist. In den Ozeanen gehen ähnliche Würfelsäulen fünf Kilometer weit in die Tiefe. Nun wird gerechnet, wie sich in jedem dieser Würfel Erdabstrahlung, Sonnenstrahlung, Wolkenbildung, Regen, abschmelzende Eiskappen, Regenfälle gegenseitig beeinflussen und wie die Würfel aufeinander wirken. Auch den Kohlenstoffkreislauf und die Chemie der Treibhausgase mit ihren komplexen Feedbacks auf die anderen Klimafaktoren kann SX6 schon durchrechnen.

Jenkins gehört zu der britischen Forscherdelegation, die die Queen aus Anlass des Staatsbesuchs am 3. November zur deutsch-britischen Klimakonferenz nach Berlin begleitet. Er gehört auch zu den Wissenschaftlern, die in den letzten Monaten Politiker in vertraulichen Briefings mit den neuesten Ergebnissen der Klimaforschung vertraut machten. Denn Klimaforscher und Politiker sind in England plötzlich näher aneinander gerückt. Es gibt plötzlich mehr alarmierende Nachrichten. Großbritanniens „Chief Scientist“ Sir David King, Blairs Berater in allen Wissenschaftsfragen, trommelte vor einigen Wochen die führenden britischen Zeitungen zusammen und machte sie auf die außergewöhnlich hohen CO2 Messungen im Mauna Loa Zentrum auf Hawaii aufmerksam. Am nächsten Tag gab es auf allen Titelseiten Schlagzeilen. „Klimaangst um den Planeten“ oder „Alarmstufe Rot“.

In einem neuen britischen Energiesparbericht ist von Weinbergen in Schottland, Haifischen in der Nordsee und Termitenhügeln auf englischen Dorfangern die Rede. Tony Blair will den Klimawandel zum Hauptthema der britischen G8-Präsidentschaft im nächsten Jahr machen und so auch Druck auf den amerikanischen Präsidenten ausüben, die Kyoto-Herausforderungen etwas ernster zu nehmen. Deutschland ist dabei ein wichtiger Verbündeter. Auch deshalb das Treffen in Berlin. Noch in seiner Lebenszeit, sagte Blair in seiner Klimarede im September, könne der Klimawandel „in seiner zerstörerischen Macht irreversibel werden“ und die menschliche Existenz, wie wir sie kennen, radikal verändern.

Auch Peter Stott müsste ernst aussehen, aber er schmunzelt beim Briefing im Hadley Centre. Er weiß etwas, darf es aber nicht sagen und ist auch ein bisschen stolz. „Warten sie ab“, sagt er. Stott hat als einer der Ersten nachgewiesen, dass die Klimaveränderungen der letzten Jahre tatsächlich von Menschen verursacht wurden und keine natürlichen Ursachen haben. Seine neueste Arbeit untersucht die anthropogenen Ursachen der Hitzewelle des Sommers 2003 und wird demnächst in der Fachzeitschrift „Nature“ erscheinen. Kein Wissenschaftler würde ein „Nature“-Embargo brechen. Aber so viel verrät Stott schon einmal: „Es wird Schlagzeilen geben.“ Die Sommertemperaturen von 2003 hat er auf der Kurve der vorberechneten Klimaerwärmung eingetragen. Das Kreuzchen liegt deutlich außerhalb der vorberechneten Bahn. So ein Sommer wie 2003 hätte eigentlich erst in zehn, fünfzehn Jahren kommen dürfen. Das Klima, eigentlich ein inertes System mit langsamen Ausschlägen „könnte sensitiver reagieren als wir dachten“, sinniert Stott. Oder haben die „Feedbacks“ der Klimaerwärmung schon die CO2-Absorption in den natürlichen Kohlenstoffzyklen verändert?

Journalisten schreiben plötzlich von einem „galoppierenden Klimawandel“. Stott zuckt die Schultern und spricht davon, dass die Vorhersagen noch genauer werden müssen. Feinere Klimamodelle, mehr Computerberechnungen, heißt das. Aber dann gibt er zu, dass er den Chief Scientist und die britische Umweltministerin Margaret Beckett über seine Forschungen zur Hitze des Jahres 2003 schon vorab informiert hat.

Hilft die Klimaforschung, das Schlimmste zu verhüten? Fühlt er sich nicht manchmal eher wie ein Untergangsprophet? „Ja, oft. Vor allem, wenn ich mir so ansehe, wie sich unsere Gesellschaften entwickeln.“ Die Welt werde wohl erst etwas tun, wenn sie den materiellen Schaden spüre, „wenn es dann nur nicht zu spät ist“, warnt Stott. Gut, dass Chief Scientist David King zur Klimakonferenz nach Berlin kommt und den Hauptvortrag hält. „Ich bin Optimist“, sagt er in seinem Londoner Büro im „Office of Science and Technology“, nachdem er gerade erläuterte, dass die Themsebarriere in London, die eigentlich alle zwei Jahre ein Mal im Einsatz sein sollte, nun in einem Monat 19 Mal geschlossen werden musste. Wird die Barriere überflutet, beläuft sich der Versicherungsschaden in London auf 30 Milliarden Pfund. „Ich bin Optimist“, sagt Sir David. „Wir verstehen jetzt, was sich abspielt, und deshalb wissen wir auch, was wir dagegen tun müssen.“

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