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Berlin: Luftige Inspiration

Von der Verkehrskanzel gucken 15 Autorinnen auf den Kurfürstendamm – und schreiben darüber

Der Verkäufer auf der anderen Straßenseite hat nur Bonbons im Angebot. Drogen wären spannender, findet Ines Geipel, das gäbe eine gute Geschichte.

Seit drei Stunden sitzt die Berliner Schriftstellerin mit ihrer Kollegin Antje Rávic Stubel in der alten Verkehrskanzel am Joachimstaler Platz, in der früher die Ampeln für die benachbarte Kreuzung geschaltet wurden. Sie wartet, dass etwas passiert. Aus fünf Metern Höhe schaut sie auf den Ku’damm und die Menschen herab. Spannend sei das nicht, sagt sie, aber so wollten es nun mal die Regeln: 15 Autorinnen werden in den nächsten zwei Wochen auf den verglasten Ausguck klettern und sich inspirieren lassen. Aus dem Gesehenen entstehen Kurzgeschichten und Gedichte und schließlich ein Buch. „Kanzlerinnen, schwindelfrei“ soll es heißen, sagt Initiatorin Corinna Waffender. Mit dem Bundestagswahlkampf habe das alles aber nichts zu tun: „Ich arbeite doch schon seit vier Jahren an meinem Projekt.“ Die in den 60er Jahren stillgelegte und mittlerweile denkmalgeschützte Verkehrskanzel eigne sich bestens, um „aus der Distanz einen Überblick“ über das menschliche Treiben in der Stadt zu gewinnen. Tatsächlich macht der Ausblick einiges her: Geradeaus der Bahnhof Zoo, schräg rechts die Gedächtniskirche. Leider versperrt ein Baum den Blick rüber zum Café Kranzler. Auch die Gespräche der Passanten können die beiden nicht belauschen. Gut, manche Menschen laufen bei Rot über die Ampel, aber „Motivation für eine Geschichte“ sei das auch nicht wirklich, sagt Rávic Stubel. Gerne würde sie das Geschehen ein bisschen beeinflussen. Beim Bücherschreiben funktioniere das ja wunderbar, in der Realität leider nicht. Wenn sie doch wenigstens die stillgelegte Ampel einschalten dürfte.

Trotzdem bleiben die Autorinnen gelassen: Ihre Geschichte werde wohl nicht vom Geschehen auf der Straße handeln, sondern vom Innenleben in der Verkehrskanzel. Und von „Abgeschiedenheit“ und vom Gespräch der beiden miteinander. Das Buch heiße doch nicht „Schreib auf, was Du draußen siehst“, sagt Initiatorin Waffender. Kurzzeitig gibt es Hoffnung: Ein Liebespaar schlendert Händchen haltend über die Straße und sieht nicht, dass der Verkehr anrollt. Aber nein, die beiden kehren rechtzeitig um. Wieder keine Geschichte. sle

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