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Berlin: „Man muss sich fragen: Habe ich genug getan?“

Heute wird die Entschädigung für die La-Belle-Opfer vertraglich besiegelt. Detlev Mehlis war der Ankläger und erinnert sich an den langwierigen Prozess

Der Anschlag auf die Diskothek „La Belle“ liegt 18 Jahre zurück, heute wird in Tripolis ein Vertrag unterzeichnet: Libyen zahlt 35 Millionen Dollar an die Opfer. Sie haben als Staatsanwalt mehr als zehn Jahre gegen die Täter ermittelt. Ist das auch für Sie ein persönlicher Schlussstrich?

Es ist der einzige Weg, den Opfern wenigstens etwas Genugtuung zu verschaffen, denn die zwölf oder 14 Jahre Freiheitsstrafe für die Täter nützen ihnen nichts. Sie sind für ihr Leben verstümmelt. Wir als Staatsanwaltschaft hatten aber mit dem Vertrag, der heute unterzeichnet wird, nichts zu tun.

In der Nacht des Anschlags waren Sie selbst am Tatort. Woran erinnern Sie sich?

Das war ein Bild wie im Film: ein regnerischer Morgen, trüb, dunkel, Feuerwehr, Krankenwagen, alles abgesperrt. Es war mehr deprimierend als interessant.

Es hat lange gedauert, bis die Ermittlungen überhaupt vorankamen. Erst der Fall der Mauer ermöglichte einen entscheidenden Erfolg: Mielkes Sicherheitsdienst führte die Ermittler auf die Spur der Terroristen.

Das hört sich so an, als hätte die Stasi letztlich mitgeholfen. Dabei war das DDR-Ministerium für Staatssicherheit mitschuldig am Attentat. Hätte die Stasi die Attentäter in Ost-Berlin nicht einfach gewähren lassen, wäre es zu dem Anschlag gar nicht gekommen. Dass die Stasi das alles aufgeschrieben hat, hat uns zwar geholfen, aber ich weigere mich, das als besonderes Verdienst anzusehen.

Sie kennen die Attentäter seit vielen Jahren. Mit Chraidi, dem Palästinenser, haben Sie 1994 bei der Vernehmung im Libanon frische Erdbeeren gegessen. Mit Eter, dem Libyer, tranken Sie 1996 auf Malta an der Hotelbar ein Bier…

…ja, zum Entsetzen des Gerichts.

Konnten Sie sich in die Attentäter hineinversetzen?

Der Sachverhalt lässt sich am besten aufklären, wenn man mit dem Täter redet. Damit er mit mir redet, muss er mich für geeignet oder sogar für nett halten. Immerhin hat Eter am nächsten Tag vor unserem Botschafter auf Malta ein Geständnis abgelegt. Ohne das wäre die Sache nicht weiter aufgeklärt worden.

Vier Jahre zog sich der Prozess hin, 169 Zeugen wurden vernommen. Es war zuweilen quälend. War da eine Szene besonders einprägsam oder bewegend?

Es gab ärgerliche Momente, wo ich gemerkt habe, das Gericht versteht bestimmte Dinge nicht. Eine Richterin fragte mich entsetzt, ob ich öfter mit Beschuldigten Bier trinke. Auch in der Sache ist ein Gericht häufig weiter von den Taten entfernt als man selbst. Als Staatsanwalt ist man tief in der Materie drin, vielleicht setze ich dann zu viel voraus.

Die beiden Haupttäter haben fast zwei Drittel ihrer Strafe abgesessen, so dass sie bald auf Entlassung hoffen können. Viele Opfer macht das wütend. Und Sie?

Ich werde eine Zweidrittel-Entlassung bei dieser Art von Tat nicht befürworten. Wir sind antragsbefugt und werden uns widersetzen. Ich glaube aber auch nicht, dass ein Gericht da zustimmt.

Sie haben mal gesagt, dass alle Anschläge eines gemeinsam haben: „Sie zeigen, dass man mit primitiven Mitteln die Welt aus den Angeln heben kann“. Was heißt das im Fall La Belle?

Es war nur wenig Sprengstoff, der mit einfachen Mitteln zur Explosion gebracht wurde, und das nicht gerade von Profis. Und wenn man dann die Folgen betrachtet – die Amerikaner bombardierten Tripolis, dann kam der Anschlag von Lockerbie, der von vielen als Rache der Libyer angesehen wird – das hat schon die Welt aus den Angeln gehoben.

Jetzt noch zu Johannes Weinrich. Sie haben bei beiden Prozessen gegen den Top-Terroristen die Anklage vertreten. Ist es Ihnen gelungen, sich in seine Gedankenwelt hineinzuversetzen?

Nein. Zu Weinrich habe ich keinen Zugang gefunden. Er zweifelt das, was er getan hat, bis heute nicht an, kein bisschen.

Für den Anschlag auf das Kulturinstitut Maison de France 1983 bekam Weinrich lebenslange Haft, vergangene Woche wurde er im Prozess um mehrere Anschläge in Frankreich freigesprochen. Empfinden Sie das als persönliche Niederlage?

Natürlich. Aber auch als Niederlage für die Gerechtigkeit. Vielleicht habe ich nicht genug getan, um dem Gericht den Sachverhalt so darzulegen, dass es ihn versteht. Wir haben Revision eingelegt.

Wann muss mit Weinrichs Freilassung gerechnet werden?

In den nächsten 15 Jahren sicher nicht.

Das Gespräch führten Katja Füchsel und Fatina Keilani.

Oberstaatsanwalt

Detlev Mehlis (55) ist Berlins oberster Terroristenjäger. Er trank Bier mit einem der La-Belle-Täter und bewegte ihn dabei zum Geständnis.

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