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Mauertote: Eine Allee für Chris Gueffroy

Eine Straße zwischen Treptow und Neukölln wird nach dem letzten Mauertoten benannt.

Er war das letzte Maueropfer der DDR: Chris Gueffroy. Mehr als 20 Jahre nach seinem Tod wird jetzt eine Straße nach ihm benannt. Die Britzer Allee am ehemaligen Grenzstreifen trägt künftig seinen Namen. Aber: Auch wenn zum 49. Jahrestag des Mauerbaus am Freitag um 11 Uhr die Straßenschilder enthüllt werden, wird die Diskussion um die Aktion noch lange nicht beendet sein.

„Die Namensänderung kam in unserer Kleingartenanlage nicht gut an“, sagt beispielsweise der Vereinsvorsitzende der Kolonie „Harmonie“, Thomas Müller. In der Nähe seiner Anlage war Chris Gueffroy in der Nacht vom 5. zum 6. Februar 1989 von DDR-Grenzsoldaten erschossen worden. Zwar übernehme das Bezirksamt die Kosten für die Adressänderung oder das neue Vereinsschild. Doch Müller findet es „unsinnig, dass es überhaupt geändert wird“.

Eine ältere Kleingärtnerin auf der Anlage pflichtet ihrem Vorsitzenden bei: „Natürlich ist es wichtig, dass an den letzten Mauertoten erinnert wird, aber hier steht doch schon eine Stele“, sagt sie und zeigt auf die 2003 errichtete Gedenksäule, die nur etwa hundert Meter von ihrem Garten entfernt liegt. Ihr Mann schimpft: „Da wird mal wieder völlig unsinnig das Geld zum Fenster rausgeschmissen.“

Auf der westlichen Seite der Allee, die durch ein Gewerbegebiet führt, weiß so mancher Anrainer noch gar nichts von dem neuen Namen. Oft heißt es auch: „Chris Gueffroy? Noch nie gehört.“ Vor mehr als 20 Jahren war das noch ganz anders. Damals machte die Flucht im Westen große Schlagzeilen.

Der 20-jährige Gueffroy wollte mit einem Freund die Sperranlagen, die wenige Meter westlich der Britzer Allee lagen, überwinden. Mit einem Wurfanker zogen sich die beiden Freunde über die erste Mauer. Als sie durch den dahinterliegenden Zaun krochen, wurde der Alarm ausgelöst. Grenzposten entdeckten sie. Mit dem Rücken zum Zaun wurde Chris Gueffroy von einer Kugel ins Herz getroffen. Er starb innerhalb weniger Minuten. Sein Freund wurde verletzt, vom Grenztrupp festgenommen und im Mai 1989 wegen „versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts im schweren Fall“ zu drei Jahren Gefängnis verurteilt.

Chris Gueffroys Mutter Karin musste nach der Flucht ihres Sohnes schwere Repressalien durch die DDR-Behörden erdulden und reiste später in den Westen aus. Nach dem Mauerfall gehörte sie zu jenen, die die Mauerschützenprozesse maßgeblich auf den Weg brachten. 1991 kam es zum ersten Mauerschützenprozess überhaupt. Allerdings mit unbefriedigendem Ergebnis: Nur einer der vier Angeklagten, der eigentliche Todesschütze, wurde verurteilt – zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe.

Für Karin Gueffroy wird die feierliche Umbenennung der Britzer Allee deshalb ein ganz besonderer Tag: 49 Jahre nach dem Mauerbau wird sie den Namen ihres ermordeten Sohnes auf einem Straßenschild lesen und sicherlich so etwas wie Genugtuung empfinden.

Nadine Kuhn

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