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Berlin: Meggie Jahn (Geb. 1959)

Es ging ihr um die Leute, nicht um die Politik

Israel ist meine große Liebe“, sagte sie zu ihm. „Und ich?“, fragte er zurück. Natürlich wusste er, wie sie es meinte. Ihre Liebe zu Israel hatte mit ihm ja nichts zu tun. Beide Lieben konnten sehr gut nebeneinander existieren.

Dieses Jahr wollten sie heiraten, Meggie und Fritz. Mit ihm war sie von Bonn nach Berlin gekommen, bei ihm fühlte sie sich geborgen. Er liebte ihre Klugheit und ihre feuerrote Lockenmähne. Sie hatte ein einnehmendes Lächeln mit einer kleinen Lücke zwischen den Schneidezähnen.

„Nie wieder Nationalsozialismus, nie wieder Krieg, nie wieder Völkermord!“ Wenn sie das sagte, klang das nicht nach Lippenbekenntnis. Als Büroleiterin von mehreren SPD-Bundestagsabgeordneten in Bonn und Berlin konnte sie sehr gut zwischen Ernst und Rhetorik unterscheiden. Sie meinte es ernst. Und sie brachte unzählige Menschen zueinander, die sich auf andere Weise nie begegnet wären.

Ein Lehrer hatte sie für die deutsche Geschichte und die deutsche Schuld sensibilisiert. Als sie dann mit ihrer sehr religiösen Patentante eine Reise nach Jerusalem und Bethlehem unternahm, um auf den Spuren von Jesus Christus zu wandeln, lernte sie jemanden kennen, der den Holocaust überlebt hatte. Eine Begegnung, die sie prägte.

Sie studierte Politik, Anglistik und Pädagogik und schloss mit einer Arbeit über den deutschen Zionismus zur Zeit der Weimarer Republik ab. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Büro eines Bonner Bundestagsabgeordneten spezialisierte sie sich auf NS-Gedenkstätten, Entschädigungsfragen und Deutsch-Israelische Beziehungen. Und sie lernte weitere Überlebende kennen, denen sie sich vorsichtig und respektvoll, aber auch unvoreingenommen näherte. Immer wieder bat sie darum, die Lebensgeschichten zu hören. Manch einer sprach nach Jahrzehnten zum ersten Mal wieder Deutsch, so etwas ging ihr tief unter die Haut.

Es waren Lebensgeschichten, die oft genug in Berlin begannen. In Straßen, die kaum einen Block entfernt von ihrem Zuhause waren, in Häusern, an denen sie täglich vorbeikam, wenn sie ins Büro radelte. Geschichten, die so fröhlich wie Filmkomödien begannen. Und dann sausten sie mit einem Mal in eine andere Wirklichkeit hinein, die kaum begreifbar ist.

Meggie organisierte in jedem Jahr Gruppenreisen nach Israel, voller Begegnungen, Veranstaltungen, Rundgängen und traditionellen Baumpflanzaktionen. Sie initiierte Treffen mit Aktivisten, Intellektuellen, Schriftstellern über alle Religionen, Ideologien und Grenzmauern hinweg. Ihr Netzwerk war gewaltig. Der Frieden zwischen Israelis und Palästinensern: Sie suchte und fand Hinweise auf ein Gelingen. Als sie im November 1995 während eines Besuches erfuhr, dass Jitzchak Rabin von einem jüdischen Fundamentalisten ermordet worden war, fiel sie in Schockstarre.

Es ging ihr um die Leute, nicht um die Politik. Das Labyrinth politischer Winkelzüge und Strategien kannte sie zur Genüge aus dem eigenen Tagesgeschäft. Seit 1980 war sie Mitglied in der SPD. Das Buhlen um Wählerstimmen und die politische Meinungsbildung, all das gehörte zu ihrem Job. Andererseits wusste sie, dass die Zukunft nie ohne die Vergangenheit auskommt. Welche Ironie, dass ihr eigener Arbeitsvertrag immer nur von Mandat zu Mandat währte. Lange ging das gut, doch dann musste auch sie ihren Schreibtisch einmal räumen, weil eine Wahl verloren ging. Es dauerte über ein Jahr, bis sie wieder einen bezahlten Job fand.

Sie war noch nicht lange von ihrer letzten Israelreise zurück. Wie jeden Morgen machte Fritz das Frühstück. Sie nahm ihr Insulin, Diabetes 1 seit dem 17. Lebensjahr. Sie war gut eingestellt, die Krankheit spürte sie kaum. Ins Büro fuhr sie mit dem Fahrrad. Normalerweise rief sie an, wenn ihr abends noch etwas dazwischenkam. Dieses Mal nicht. Sie war auf dem Weg nach Hause, da blieb ihr Herz einfach stehen. Zwei amerikanische Medizinstudenten eilten herbei und versuchten, sie am Straßenrand zu reanimieren. Vergeblich. Stephan Reisner

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