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Berlin: Mehr als Ata und Wofasept - Stimmen über eine Schau, die am Sonntag zu Ende geht

Vorn, gleich am Eingang, hängt ein kleiner Telefonhörer an der Wand, und wenn man ihn abnimmt und ans Ohr hält, spricht eine ernste Stimme den letzten Wehrmachtsbericht des Zweiten Weltkrieges vom Reichssender Flensburg: "Es folgt eine Funkstille von drei Minuten." Die Älteren halten inne: Wo haben wir das gehört?

Vorn, gleich am Eingang, hängt ein kleiner Telefonhörer an der Wand, und wenn man ihn abnimmt und ans Ohr hält, spricht eine ernste Stimme den letzten Wehrmachtsbericht des Zweiten Weltkrieges vom Reichssender Flensburg: "Es folgt eine Funkstille von drei Minuten." Die Älteren halten inne: Wo haben wir das gehört? Was haben wir an diesem 9. Mai 1945 getan? Was haben wir gedacht? Waren wir froh, daß alles vorbei ist? Fühlten wir uns befreit? Oder betroffen, Verlierer zu sein?

In diesem Moment beginnt das neue Deutschland, in dem sich vier Jahre später, 1949, zwei Staaten bilden, von denen einer 41 Jahre danach von der politischen Landkarte verschwindet. Seit fast zehn Jahren gibt es wieder die deutsche Gemeinsamkeit. Das Deutsche Historische Museum und das Haus der Geschichte in Bonn haben versucht, die Wege der Deutschen in einer großen Geschichts-Schau zu illustrieren: Das Telefon am Eingang im Gropius-Bau ist eins von 6000 Ausstellungsstücken, die seit dem 23. Mai von über 300 000 Besuchern betrachtet, bestaunt und begutachtet wurden. Am Sonntag um 24 Uhr schließt die Schau. Auch heute ist der Martin-Gropius-Bau bis Mitternacht geöffnet.

Die Bilanz von "Einigkeit und Recht und Freiheit" ist in sechs Gästebüchern nachzulesen. Gesamturteil: gut. Stimmen: "Gerade so alt wie diese Republik ist die Ausstellung für mich Erinnerung und Darstellung meines eigenen Weges". "Man merkt nicht, wie die Zeit vergeht, obwohl man 50 Jahre Zeitgeschichte durchwandert". "In zwei Stunden ist mein Leben an mir vorbeigerauscht. Erinnerungen, Nachdenklichkeit und Schmunzeln."

Zahlreiche Besucher plädieren für eine Verlängerung, die aber nicht möglich ist, da die 700 Leihgeber ihre Exponate zurück haben möchten und im Gropius-Bau die nächste Schau, eine Kunstausstellung der Sammlung Grothe, vorbereitet wird. Andere Besucher fordern gar eine Dauerausstellung als fester Bestandteil des kulturellen Lebens Berlins. Weitere Assoziationen: "Geschichte kann so spannend sein!". Ein Berliner schreibt: "50 Jahre Frieden, Wohlstand für breite Bevölkerungsschichten - wo auf der Welt findet man solch glückliche Kontinuität?" "Es ist nicht falsch, in diesem Land zu leben!" bekennt einer, und ein anderer Besucher bezieht sich auf eine Meinungumfrage, wenn er schreibt: "Hoffentlich führt die Ausstellung dazu, die Mauer in den Köpfen der deutschen Menschen abzubauen. Allein jeder fünfte Westdeutsche möchte die Mauer in ihrer schrecklichen Realität zurück. Warum vergessen die Mauerbefürworter alles so schnell? Alzheimer?"

Kritik gab es aus zwei Gründen: Frauen fühlten sich unterrepräsentiert, und die Darstellung der DDR entsprach nicht dem Leben im real existierenden sozialistischen Staat. ("Wir werden wieder einmal so dargestellt wie wir es uns nicht wünschen"). Das sahen nicht nur einzelne DDR-Bürger, sondern auch zwei Besucher aus Essen, als sie ins Gästebuch schrieben: "Das Ganze ähnelt mehr einer Leistungsschau der Bundesrepublik (West). Als "Wessis" hätten wir gerne mehr zur Geschichte der DDR erfahren."

Ausstellungs-Generalsekretär Rainer Rother gibt zu bedenken, daß so eine Ausstellung einerseits interessant sein soll, andererseits aber stimmen muß. "Wir hatten eigentlich mit Kritik von allen Seiten gerechnet, aber das hat sich zu unserer Freude im Rahmen gehalten". In einer Schau, die jedem einzelnen ein Stück seines Lebens vorführen will, wird es immer "Vermisstenanzeigen" geben, manch subjektive Hoffnung und Erwartung muß dabei unerfüllt bleiben oder gar enttäuscht werden. Jeder verglich die etwas ärmliche, aber typisch sein wollende Wohnung einer DDR-Familie, in der es auch noch heftig nach Ata und Wofasept roch, mit seinen eigenen Lebenserfahrungen - nein, ganz so trübselig ging es in der guten Stube und im Badezimmer der Brüder und Schwestern denn doch nicht zu...

Zu den interessanten Begebenheiten gehörte, dass ein Mann extra aus Bayern kam und hoffte, sich in der Ausstellung wiederzufinden. Er stand am 9. November 1989 auf der Mauer am Brandenburger Tor - und fand sich tatsächlich auf einem großen Farbfoto am Eingang wieder. Wurde etwas gestohlen? Ja, aber weder Sparwassers Trikot noch das Original vom Grundgesetz - ein Emailleschild: "Becks Bier".

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