Meine Woche (106): Obdachlos

Ahmad, es wird langsam Winter und das Problem mit der Obdachlosigkeit in Berlin spitzt sich zu. Begegnet Ihnen das auch im Alltag?

Ja. Mir tun die Leute sehr leid. Wenn jemand in der U-Bahn nach Geld fragt, dann gebe ich oft einen Euro. Das tut mir ja nicht weh. Und ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man auf der Straße schlafen muss.

Ja?

Als ich auf meinem Weg über die Türkei nach Deutschland war, da habe ich auch oft draußen geschlafen. Wir hatten nicht mal ein Zelt, es war April und nachts noch ziemlich kalt. Wir lagen dann in unseren Schlafsäcken im Regen und wurden von oben und von unten nass. Wenn man das über Monate und Jahre erlebt – das muss furchtbar sein. Mich wundert es auch nicht, wenn man dann alkoholsüchtig wird. Ich bin immer wieder sehr dankbar, dass ich in Berlin so schnell eine Wohnung gefunden habe.

Haben Sie sich schon mal mit einem Obdachlosen unterhalten?

Ja, einmal. Das ist schon ein paar Monate her – da war ich morgens zu früh bei meinem Praktikum. Draußen saß ein Obdachloser vor einem Schachspiel. Er bat mich, dass ich ihm ein Bier kaufe. Wir haben dann geredet und er erzählte, dass er irgendwann vom Jobcenter kein Geld mehr bekam und seine Wohnung verlor. Na ja, wenn man einmal aus dem System herausfällt, dann ist es sehr schwer, wieder reinzukommen.

Muss da von staatlicher Seite aus mehr getan werden?

Definitiv. Ich fand es im Wahlkampf auch sehr befremdlich, dass viel über Flüchtlinge, Obergrenzen und Grenzsicherung diskutiert wurde. Aber nicht über Obdachlosigkeit, die ja auch viele Deutsche betrifft.

Welches Wort geben Sie uns heute mit?

Obdachlos heißt mosharad auf Arabisch.

Die Fragen stellte Maria Fiedler. Diese Kolumne ist gedruckt in der Tagesspiegel-Samstagsbeilage Mehr Berlin erschienen. Alle Folgen finden Sie unter diesem Link.

Ahmad Al-Dali