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Berlin: Mensch, ärger dich nicht…

…denn das macht krank. Wer oft sauer ist, bekommt leichter Bluthochdruck, Herzinfarkte und Migräne. Aber was kann man tun? Tipps von Psychologen und Philosophen

Endlich. Nach einer halben Stunde Herumkurven die Erlösung: eine Lücke im Automeer. Schnell den Blinker setzen, rein mit der Karre, hoch in die Wohnung und der Feierabend möge – Moment mal, was macht der Typ da? Das ist mein Parkplatz! Der Vollidiot kann doch nicht… Kann er doch. In Windeseile hat er seinen Wagen in die einzige Parklücke im Umkreis von 20 Kilometer hineinmanövriert und hüpft aus dem Auto. Verärgert lässt man den Motor aufheulen und macht sich auf zur x-ten Runde um die Blocks.

„In jeder Minute, die du im Ärger verbringst, versäumst du 60 glückliche Sekunden deines Leben“, hat Albert Schweitzer einmal gesagt. Klingt wahr und vernünftig. Und dennoch lässt sich Ärger kaum vermeiden: Ein- bis zweimal pro Woche ereilt er uns und hält durchschnittlich etwa eine Stunde an, so die Ergebnisse einer Studie. „Ärger zählt zu den Grundemotionen, es ist eine alltägliche Erfahrung“, sagt die Greifswalder Psychologie-Professorin Hannelore Weber. Einige Emotionsforscher nehmen an, dass Ärger in allen Kulturen in gleicher Weise vorkommt – und er ist beileibe kein Waisenkind; er gehört zu einer ganzen Familie von Emotionen wie Frustration und Zorn; die Grenzen sind fließend.

Typisch für den Ärger ist eine gewisse körperliche Unruhe. Wir wälzen uns im Bett hin und her, wir laufen auf und ab, wir ballen die Fäuste – kurzum, in uns ist etwas, das nach außen will. Diese Empfindung kommt nicht von ungefähr: Ärger geht stets mit einer Erregung des sympathischen Nervensystems einher. Wenn der Bus vor unserer Nase davonfährt, schüttet der Körper vermehrt die Stresshormone Noradrenalin und Adrenalin aus. Die Folge: Blutdruck und Herzfrequenz steigen, die Durchblutung der Muskeln nimmt zu. Der Körper ist in Alarmbereitschaft. „Ärger gehört zur biologischen Grundausstattung des Organismus“, sagt Hannelore Weber. „Er hat den Menschen von Anbeginn seiner Tage dazu befähigt, in bedrohlichen Situationen möglichst rasch zu reagieren.“

Für unsere Vorfahren hießen die Handlungsalternativen „Fight“ oder „Flight“: Lieber mit dem Speer drauf aufs Mammut oder ins Dickicht verdrücken? Mit den Jahrhunderten haben sich die Kämpfe auf Autobahnen, in Büros und Schlafzimmer verlagert, und die Psychologen haben die Begriffe „Fight“ und „Flight“ durch die Bezeichnungen „anger out“ und „anger in“ ersetzt: Wer „anger out“ betreibt, wirft mit Gläsern oder Beschimpfungen um sich. Beim „anger in“ dagegen schluckt man seinen Groll herunter und frisst ihn stumm in sich hinein.

Aber was ist gesünder? Drauflos dreschen oder verkriechen?

Weder noch, sagen die Psychologen. Sowohl Menschen, die ihrem Ärger Luft machen, als auch diejenigen, die ihn unterdrücken, riskieren gesundheitliche Schäden. In beiden Fällen kommt es zu einer starken körperlichen Erregung, die nur langsam abklingt – mit negativen Folgen vor allem für das Herzkreislaufsystem. Bereits im Jahr 1939 hat der Psychoanalytiker und Mitbegründer der Psychosomatik Franz Alexander die These aufgestellt, dass unterdrückter Ärger zu Bluthochdruck führt.

In den 50er Jahren wurde dann das so genannte Typ-A-Verhalten beziehungsweise die Managerkrankheit diagnostiziert. Mit diesen Begriffen belegten die US-amerikanischen Kardiologen Meyer Friedman und Ray Rosenman eine Personengruppe, die sich besonders häufig unter ihren Patienten fand. Typische Merkmale: Leistungsstreben, Ungeduld, Aggressivität und Feindseligkeit sowie das permanente Gefühl von Zeit- und Konkurrenzdruck – kurzum ein Leben getreu dem Motto „Höher, schneller, weiter“. Laut den beiden Medizinern geht ein solcher Lebensstil mit einer erhöhten Anfälligkeit für koronare Herzkrankheiten wie Angina Pectoris und Herzinfarkt einher. Deren Ursache liegt in einer Verdickung und Verhärtung der Koronararterien mit der Folge, dass dem Herzen nicht mehr genügend Sauerstoff geliefert wird. Untersuchungen konnten die Typ-A-These der Kardiologen teilweise bestätigen: Nach heutigem Kenntnisstand ist nicht das gesamte Verhaltensmuster schädlich. Die Risikofaktoren sind häufiges und intensives Ärgererleben, eine inadäquate Ärgerverarbeitung, Aggressivität und Feindseligkeit. Sogar mit Krebserkrankungen ist Ärger in Verbindung gebracht worden. Psychologen zeichneten da das Bild einer „Krebspersönlichkeit“ – einen angepassten, stets netten Menschen, der seinen Ärger unterdrückt, Konflikte meidet und zugleich die Neigung zur Selbstaufopferung in sich trägt. Allerdings konnten neue Untersuchungen diese Annahmenicht bestätigen, weshalb die „Krebspersönlichkeit“ wieder zu den Akten gelegt wurde.

Weiterhin vermuten Forscher Ärger als Risikofaktor für Erkrankungen wie Asthma und Migräne. Systematische Untersuchungen stehen aber noch aus. Ebenso ist bis jetzt ungeklärt, welche Mechanismen und Prozesse dem Einfluss von Ärger auf die Entstehung von Krankheiten zugrunde liegen. Neben seiner direkten Wirkung auf das körperliche Befinden spielt Ärger aber auch eine indirekte Rolle, vor allem bei Suchterkrankungen. Wer seinem Partner zürnt, greift eher zur Zigarette als jemand, der keinen Ärger zu Hause hat.

Wir scheinen also nicht gewinnen zu können. Ärger ist unvermeidbar und egal, wie wir mit ihm umgehen, ob wir ihn nun unterdrücken oder ausleben – er schadet uns. Oder?

Sicher ist: Leicht haben wir es mit unserem Ärger nicht. Ärger und Wut sind eigentlich tabuisierte Emotionen, und so sind wir umgänglich und nachsichtig und lächeln, anstatt die Zähne zu blecken. Schon die Stoiker glaubten, dass eudaimonía – die Glückseligkeit – nur denen zuteil werde, die apathía zeigen, also frei von Affekten seien. Senecas Urteil über den Zorn in seinem Werk „De ira“ ist vernichtend: „Kein Unheil ist das Menschengeschlecht teurer zu stehen gekommen.“ Und der koreanische Zen-Meister Young San Seong Do, der in einem Zen-Tempel in Berlin-Kreuzberg lehrt, sagt: „Eine Person, die ärgerlich oder wütend ist, ist gefährlicher als eine giftige Schlange.“ Das Unglück in der modernen Welt entstehe, sagt Young San Seong Do, weil man Ärger und Wut nicht unter Kontrolle habe. Deshalb sei es die Aufgabe aller Religionen, dem Menschen beizubringen, Ärger und Wut nicht mehr zuzulassen. Im Zen-Buddhismus geschieht dies durch eine Art kontinuierliche Innenschau, die alles begleitet, was man tut – ein ständiges Bemühen darum, sich seiner selbst gewahr zu werden und negative Emotionen im Keim aufzulösen. Allerdings, sagt der Berliner Zen-Meister, habe selbst Buddha dafür 500 Leben lang üben müssen.

Für den, der nicht ganz so lange warten will, gibt es noch andere Möglichkeiten. Eine heißt „anger control“. Neben „anger in“ und „anger out“ ist das der dritte Weg der Ärgerverarbeitung und nach Meinung von Psychologen der sinnvollste und gesündeste.

Diesen versucht auch Iris Espenlaub den Teilnehmern ihres Kurses an der Biberacher Volkshochschule beizubringen: „Zunächst sollte man seinen Ärger bewusst wahrnehmen und ihn dann ebenso bewusst regulieren.“ Ein erster Schritt ist das altbekannte Bis-zehn-Zählen. Diese Methode empfahl schon Seneca: „Das wirksamste Gegenmittel bei Zorn ist Aufschub.“ Iris Espenlaub empfiehlt ihren Kursteilnehmern, mit sich selbst einen Termin auszumachen, an dem sie sich ärgern können: „In der Ärgersituation sagt man sich dann: Jetzt habe ich keine Zeit und Lust, mich zu ärgern, das mache ich lieber um 18 Uhr. Bis dahin hat sich Ärger meist von selbst erledigt.“

Eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung von negativen Gefühlen spielt auch die Beschäftigung mit den Abläufen, die den Emotionen zugrunde liegen. So vollzieht sich die Ärgerentstehung stets in zwei Schritten: Als Erstes nimmt das limbische System, die Gefühlsschaltzentrale im Hirn, eine unmittelbare Reizverarbeitung vor. „Wenn mir jemand auf den Fuß tritt, werden hier eine unmittelbare Erregung und auch Handlungsimpulse geweckt“, erklärt Hannelore Weber. Aber das sei noch kein Ärger. Die volle Ausgestaltung der Emotion Ärger obliege dem Neocortex, an den die subkortikale Erregung weitergeleitet werde. Erst dort finde eine bewusste Verarbeitung und Bewertung der Situation statt. „Wenn ich feststelle, dass mir unabsichtlich auf den Fuß getreten wurde, dann sorgt die Bewertung der Situation im Neocortex dafür, dass die Erregung schneller abklingt und die Entstehung von Ärger gebremst wird.“

In diesem kognitiven Prozess liegt unsere Chance zur Ärgerbewältigung: Bestimmte persönliche Überzeugungen wie „Die Menschen meinen es nicht gut mit mir“ und „Ich werde ständig benachteiligt“ sorgen für eine erhöhte Ärgerneigung. Um diese abzulegen, bedürfen die negativen Interpretationsschlüssel einer Korrektur: Nicht weil er uns nicht schätzt, war der Kollege in der Kantine kurz angebunden, sondern weil er in Eile war. Und noch einmal Seneca: „Unbefangenheit ist nötig und eine wohlwollende Einschätzung der Dinge.“

Was also ist das Fazit?

Zuerst einmal: Ärger ist nicht per se negativ. Ärger ist ein Motor, der auch positive Veränderungen in Gang setzen kann. Wird Ärger akzeptiert und begleitet von dem Bemühen um einen angemessenen Ausdruck und problemorientiertes Handeln, kann er durchaus konstruktiv sein.

Der Königsweg zur Ärgerbewältigung ist Humor. Auch Iris Espenlaub macht sich die heilsame Wirkung von Humor zunutze: „Wenn ich mich richtig ärgere, dann packe ich die Ärgersituation vor meinem inneren Auge in einen barocken Bilderrahmen, so richtig mit Schnörkeln, passend zur Schwere der Lage.“ Dann ändere sie in der Fantasie Farbe und Form des Rahmens. „Das mache ich, bis er mir gefällt und Leichtigkeit bekommt.“ Und wenn das geschafft ist, beklebt sie den Rahmen mit Gummibärchen.

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