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Berlin: Mit bunten Bündnissen in die Bürgermeister-Wahl

In 37 Kommunen steht die Neubesetzung der Chefposten an Die politischen Verhältnisse reichen von Rot gegen Schwarz bis alle gegen Grün

Potsdam - Solch ein Bündnis wäre in der Landespolitik undenkbar: SPD, CDU, Linke und Freie Wähler schicken einen parteilosen Kandidaten gegen einen Grünen ins Rennen – so zu erleben in Grünheide (Oder-Spree) bei der Bürgermeisterwahl am morgigen Sonntag. In landesweit 36 Gemeinden sind die Bürger zur Abstimmung aufgerufen. „Da gibt es die merkwürdigsten Bündnisse“, sagt Jochen Franzke, Politikwissenschaftler an der Universität Potsdam. „Auf die Partei kommt es vielerorts gar nicht an. Das ist meist eine Personenwahl.“

Eine Ausnahme macht da die Stadt Brandenburg/Havel, wo die Oberbürgermeisterwahl ansteht. Amtsinhaberin Dietlind Tiemann (CDU) wird als Favoritin gehandelt, und die flächenmäßig größte Stadt der Mark gilt bei den Christdemokraten als Stachel im Fleisch der SPD, die ansonsten das Land dominiert.

Rund ein Viertel der 144 amtsfreien Kommunen bekommt ein neues Oberhaupt, weil deren reguläre achtjährige Amtszeit endet. Um die 37 Posten bewerben sich 110 Kandidaten, die oft keiner Partei angehören. Allein 30 von ihnen sind Einzelbewerber, 17 kommen von Wählergruppen, sechs von Listenvereinigungen. Nur 57 sind von Parteien nominiert. „Hier werden Persönlichkeiten gewählt, keine Parteien“, sagt Politikwissenschaftler Franzke. Zu einem Stimmungstest für die Landespolitik taugen die Wahlen am Sonntag kaum, erlauben allerdings einen Einblick in die politischen und menschlichen Verhältnisse.

„Parteilos gut“ lautet etwa das Motto von Schönefelds Bürgermeister Udo Haase, mit dem er auf seinen Wahlplakaten für seine Wiederwahl wirbt. Der 59-Jährige rechnet sich gute Chancen aus. Die Umstände machten ihm die Arbeit in den vergangenen Jahren leicht. Der Flughafen BER beschert der Gemeinde nicht nur Lärm, sondern auch kräftige Einnahmen. Schönefeld ist eine der reichsten Gemeinden im Land. Das zieht Menschen wie Firmen an. Haase will einen Radweg rund um den neuen Flughafen, eine Schwimmhalle und eine Freizeitanlage bauen. Seine wohl chancenreichste Konkurrentin, die Geschäftsfrau Renate Pillat, wirft ihm Selbstherrlichkeit vor, sie verspricht einen Bürgerhaushalt und will gegen Lärm kämpfen. SPD und CDU unterstützen sie dabei.

Einige Kilometer entfernt, in Blankenfelde-Mahlow (Teltow-Fläming) tobte bis vor kurzem ein heftiger Wahlkampf, eine wahre Schlammschlacht. Seit mehr als einer Woche aber herrscht Ruhe – aus Respekt. Eine Mitarbeiterin des Ordnungsamtes, die erst wenige Monate zuvor eingestellt worden war, nahm sich das Leben, als „anonyme Gemeindemitglieder“ in einem Fax Stasi-Vorwürfe erhoben. Die Verfasser drohten: „Dieser Skandal wird Auswirkungen auf die Bürgermeisterwahl haben.“ Die Gemeinde ist tief gespalten. Gegen Amtsinhaber Ortwin Baier (SPD), den auch Linke und Grüne unterstützen, wird wegen Korruptionsvorwürfen ermittelt. Beim Bau des Rathauses und eines Parkhauses soll es Mauscheleien gegeben haben. Während eine Bürgerwähler-Gruppe Baier mit Untreue-Vorwürfen unter Druck setzt, bestreitet dieser alles.

Heftig ist der Streit auch in Zossen (Teltow-Fläming). Bürgermeisterin Michaela Schreiber, gegen die ebenfalls wegen Korruption ermittelt wird, führt das Rathaus mit harter Hand. Zudem läuft gegen Schreiber ein Verfahren wegen Dienstvergehen, weil sie gegen das Haushaltsrecht verstoßen, Abgeordneten Akteneinsicht verweigert und Grundstücksgeschäfte ohne die Stadtverordneten gemacht haben soll. Eine Bürgerinitiative „Gegen Korruption und Filz, für Demokratie und Pressefreiheit“ hat sich gegründet, die Mitglieder sind empört über den „Polit-Sumpf“ in Zossen. Auch ohne den Wahlkampf stehen sich die Lager unversöhnlich gegenüber: Das zeigte sich im Januar 2010, als Rechtsextreme das „Haus der Demokratie“ in Brand steckten. Der Betreiberverein forderte von Schreiber Unterstützung, zumal Zossen zu dieser Zeit noch als Neonazi-Hochburg galt, Vereinsmitglieder sogar mit dem Tod bedroht wurden. Doch die Bürgermeisterin und ihre Wählervereinigung „Plan B“ spielten das Problem herunter.

Die Korruptionsvorwürfe weist die Bürgermeisterin, zu der auch die CDU steht, als „Halbwahrheiten und Lügen“ zurück, es gebe eine Hetzjagd, sie werde mit Dreck beworfen – aus dem Lager ihres Gegners. Dies besteht aus SPD, den Grünen, der Linken sowie Unabhängigen und unterstützt den parteilosen Carsten Preuß. Er arbeitet bei Teltow-Flämings Landrat Peer Giesecke (SPD), ist dort für Umweltfragen zuständig und schob einst die landesweite Initiative gegen die Privatisierung der Seen an. Im Internet nennt Schreiber ihn nur „Landrat Gieseckes Mitarbeiter Preuß (linientreu zu rot-rot)“.

Trotz der Aufregung in einigen Kommunen befürchtet Politikwissenschaftler Franzke, dass die Wahlbeteiligung einen neuen Tiefststand erreicht. Denn diesmal fällt die Abstimmung nicht mit einer anderen, größeren Wahl zusammen. Franzke sieht noch ein anderes Problem: in einigen Gemeinden gibt es nur einen Kandidaten. „Es gibt nicht viel Auswahl und ein Rekrutierungsproblem. Die jungen dynamischen Menschen verlassen das Land. Das macht sich bemerkbar.“ Eine Ausnahme ist der 27-jährige Felix Menzel, er ist der landesweit jüngste Kandidat und tritt im Milower Land (Havelland) für die SPD an.

 Alexander Fröhlich

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