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Berlin: Mit Ecken und Gefühlen

Selbst gebastelte Zinkspieler, kantige Bälle und schwitzende Männer am Filzrasen – das ist Tipp-Kick, das ist Begeisterung. Die Beteiligten sehen sich sogar als Leistungssportler

Der Stürmer steht frei vor dem Tor und legt sich den Ball auf den linken Fuß. Ein Klick, das Bein schnellt vor, und der Ball landet im Netz. Der kleine Plastik– Torwart ist chancenlos. „Ja, schön!“ Dirk Kallies bejubelt seinen Torerfolg. Der Lübecker ist amtierender Deutscher Einzelmeister im Tipp-Kick, und gerade gewinnt er in Berlin das Finale der ostdeutschen Meisterschaft. 40 Zuschauer jubeln ihm zu am Ostersonntag im Jugendhaus Teltow. Veranstalter Christian Lorenzen, selbst ein begeisterter Tipp-Kicker, spricht von einer „sensationellen Kulisse“.

Beim Tipp-Kick ist alles ein wenig anders als beim normalen Fußball. Hier ist der Ball eckig, ein Spiel dauert zehn Minuten. Ein Team besteht aus vier Spielern, jeder tritt gegen jeden an. Mit krummen Rücken und konzentrierten Blicken wuseln die Männer um kleine Tische mit grünem Filzspielfeld. Ein Turnier dauert oft 13 Stunden, spätestens gegen 22 Uhr riecht es im Raum so streng wie in einer Turnhalle. Ist Tipp-Kick, das kleinste aller Tischfußbälle, etwa doch ein Sport?

„Für mich ist das Sport“, sagt der Lübecker Spieler Norman Koch. „Man muss taktisches Geschick haben und reaktionsschnell sein, außerdem braucht man viel Ballgefühl.“ Natürlich sei Tipp-Kicken keine wirkliche körperliche Anstrengung, gibt Koch zu. „Aber Schach wird auch als Sport bezeichnet.“

750 Spieler sind im Deutschen Tipp-Kick- Verband organisiert, und mit ihnen vier Mal so viele kleine Zinkfiguren. Neun Mannschaften treten in der Bundesliga gegeneinander an, alle anderen spielen in unteren Klassen. Wie im wirklichen Kicker-Leben dürfen nur die besten Spieler auf den Platz, Holz- und Rumpelfüße haben hier nichts zu suchen. Die Tipp-Kicker basteln und schleifen sich die Schussbeine ihrer Torschützenkönige in Heimarbeit selbst zurecht. Drei spezialisierte Spieler genügen zur Mannschaftsaufstellung. „Es gibt den kurzen Fuß für harte Schüsse“, erklärt Koch und zeigt seine Athleten, die er in einem Koffer mit grünem Püschelbezug dabei hat. „Dann gibt es den mittellangen Fuß für Dreher von hinten und den langen Fuß für Eckbälle oder Bälle aus spitzem Winkel.“ Ja, beim Tipp-Kicken geht es um Leistung. Seit 1959 werden nationale Meisterschaften ausgetragen. Beim Turnier in Teltow sind 100 Teilnehmer dabei.

Tipp-Kick hat Tradition, mehr als mancher Fußballverein. Vor 80 Jahren wurde das erste Spiel gebaut. Der schwäbische Spielzeughersteller Edwin Mieg startete 1923 mit der Kickerproduktion, erfunden wurden die Fingerfußballer zuvor von einem Apothekenmöbelhersteller. Enkel Mathias Mieg ist heute Geschäftsführer des Unternehmens, und er erzählt gern von den Anfängen: „Mein Großvater ist mit seinem Spiel nach Leipzig auf die Messe gegangen, konnte sich damals aber noch keinen eigenen Stand leisten.“ Also habe er sich vor die Eingangstür einer Halle gesetzt, die Spieler aus Zink ausgepackt und mit dem Spiel begonnen. „Schon bald hatte sich eine Menschentraube um ihn gebildet, und jeder hat interessiert zugeschaut.Zum Abschied erzählt Mieg noch eine Geschichte. Sie handelt von der Verbindung des Tischfußballs zum normalen Fußball. „Mein Vater hatte mal das Glück, einen unbekannten Fußballer aus der bayerischen Liga für eine Werbekampagne zu verpflichten“, erzählt Mathias Mieg. Das Foto des Fußballers sei auf die Verpackungsschachtel gedruckt worden. Später sei dieser Fußballer berühmt geworden. „Es war Gerd Müller.“

Jutta Heess

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