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Berlin: Mord in der Charité: Die Kollegen haben geschwiegen

Aussagen im Prozess gegen die Krankenschwester lösten im Gerichtssaal Fassungslosigkeit aus

Das, was gestern im Gerichtssaal besprochen wurde, machte fassungslos: Schwester Irene aus der Charité hat einer schwer kranken Patientin sogar im Beisein deren Mannes die Todesspritze gesetzt – und ihn dann noch getröstet.

Der Ehemann saß am Bett seiner herzkranken 48-jährigen Frau, hielt ihre Hand, sah auf die Geräte. „Man konnte richtig sehen, wie die Kurve runterging“, erinnerte sich Uwe S. gestern vor dem Landgericht. Er konnte sich auch an Schwester Irene noch gut erinnern. „Sie war nett und freundlich“, sagte der 51-jährige Witwer. Er hatte nichts Auffälliges an ihrem Verhalten bemerkt. Doch am besagten Tag, 19. September 2006, gab es längst Schwestern und Pfleger, die misstrauisch waren – und trotzdem nicht reagierten.

Es war kein böser Tratsch, es gab konkrete Beobachtungen. Irene B. sei in den letzten zwei Jahren „rabiater“ im Umgang mit Patienten geworden, sagten mehrere ehemalige Kollegen im Prozess wegen sechsfachen Mordes an Patienten. Im März 2006 schlug sie nach Angaben einer 33-jährigen Kollegin eine Patientin auf die Hände. „Die Frau war in einem verwirrten Zustand“, sagte die Zeugin. B. sei in der Situation wohl überfordert gewesen. Den Vorgang meldete die Zeugin der Stationsschwester. „Ich habe erwartet, dass sie mit Irene spricht.“ Geschehen aber ist nichts. „Ich habe es zunächst für mich protokolliert“, erklärte später die 36-jährige Stationsschwester. Sie habe Frau B. beobachtet. „Bis zum Juli habe ich nichts von neuen Vorfällen gehört“, rechtfertigte sie ihr Schweigen. Sie ging erst zu ihrer Vorgesetzten, als von einer zweiten Misshandlung die Rede war. Gemeinsam habe man mit der verdächtigen Kollegin reden wollen – tat es aber nicht.

Warum haben Kollegen von Irene B. geschwiegen? Dabei schien es ein offenes Geheimnis zu sein, dass die Frau in den letzten zwei Jahren immer wieder verbal-aggressiv und rabiat gegenüber Patienten aufgetreten ist. „Warum haben Sie nicht mit der Frau gesprochen?“, wurden mehrere Krankenschwestern gefragt. „Vielleicht fehlte mir der Mut“, sagte eine Zeugin. „Ich dachte, die Stationsleitung sagt mal ein Wort“, sagte eine andere. „Es war ja nicht so doll“, sagte eine 24-Jährige, die einen Schlag auf die Hände gesehen hatte.

Selbst die Gerüchte, Irene B. könnte mit den plötzlichen Todesfällen auf der Intensivstation der Kardiologie im Zusammenhang stehen, lösten keinen sofortigen Alarm aus. Sie habe am 27. September davon erfahren, sagte die Stationsschwester. Einen Tag später habe sie ihrer Vorgesetzten davon berichtet. Aus ihrer Sicht hatte sie das Nötige getan. „Das ist ungeheuerlich, mit Verlaub“, donnerte der Vorsitzende Richter. Auch ein Nebenkläger wandte sich an die Schwester. „Wenn Sie bereits im März reagiert hätten – könnte es sein, dass mein Vater und drei weitere Patienten friedlich hätten sterben können, statt Opfer dieser Person zu werden?“

Die 54-jährige B. war am 4. Oktober 2006 festgenommen worden. Sie soll zwischen Juni 2005 und 2. Oktober 2006 sechs schwer kranke Menschen zwischen 48 und 77 Jahren jeweils mit einer Medikamenten-Überdosis getötet haben. Zwei weitere Patienten sollen die Giftspritze überlebt haben. Irene B., die vier Tötungen zugab, will „im Willen“ und „zum Wohle“ der Patienten gehandelt haben.

Kerstin Gehrke

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