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Gregor Alexander Best, ein Wanderer zwischen den Welten

© privat

Münchhausen modern: Ein Kriegsheld, oder?

Nazi-Opfer, Auschwitz-Befreier, Stalin-Chauffeur, Doppelagent, Kiffer. Der unglaubliche Nachruf auf Gregor Alexander Best (geb. 1925).

Von David Ensikat

Der Mensch, von dem hier die Rede ist, starb am 12. Februar 2019, so viel steht fest. Durfte man seinen Erzählungen trauen, so waren in seinem Leben die Kriege von großer Bedeutung, der Zweite Weltkrieg und der Kalte Krieg. Und, ganz wichtig, er selbst spielte in diesen Kriegen eine große Rolle. Dass seine letzte Station ein Friedhof an der Friedenstraße in Berlin-Friedrichshain war, ist eine schale Pointe, denn dort wollte er nicht hin. Er hatte sich ein Grab gewünscht auf dem Friedhof, der ganz dicht beim Boxhagener Platz liegt. Der Platz war in seinen Erzählungen ähnlich wichtig wie die Kriege.

Seine Tochter aber wollte die Sache möglichst rasch hinter sich bringen, und so landete er dort, wo die Beerdigung am schnellsten und günstigsten vonstatten ging. Sie hielt in der Trauerkapelle eine erstaunliche Rede. Sie sprach über ihre sehr private Zuversicht, dass der schwierige und störrische Vater, nach ihren Kenntnissen ein Jude, in den letzten Augenblicken seines Lebens doch noch zu Jesus Christus gefunden habe.

Die meisten anderen Anwesenden hätten wohl etwas Diesseitigeres erwartet, etwas über die Kämpfe des 20. Jahrhunderts, Nazis gegen Kommunisten, Ost gegen West, über die Welt, in welcher der Verstorbene die unglaublichsten Dinge erlebt hatte. Kein Heiland, kein jüdischer oder christlicher Gott spielte in seinen Geschichten eine Rolle. Dafür Hitler, Stalin, Mielke, etliche Geheimdienste und vor allem er selbst, Gregor Alexander Best, Antifaschist und Kämpfer fürs Gute, ein wahrer Held.

Die Trauernden wussten, dass der Mann, den sie zu Grabe trugen, kein einfacher Charakter war, dass seine Auskünfte an manchen Stellen variierten, dass er womöglich kein besonders guter Vater war. Niemand aber zweifelte an seiner Heldenstory, nicht einmal die Tochter. Hier kommt sie.

Geboren wird Gregor in Berlin. Am Boxhagener Platz wächst er auf, die Mutter ist Jüdin mit russischen Wurzeln, der Vater Sozialdemokrat und Rechtsanwalt. Im Frühjahr 1933 holen Polizisten den Vater zu Hause ab. Gregor und sein Zwillingsbruder sehen zu, wie sie ihn die Treppen hinabstoßen, unten auf dem Platz an einen großen Baum binden und ihn dort erschießen.

Die Mutter weiß, dass sie in Berlin nicht bleiben kann, zieht mit den Söhnen und einer Tochter zuerst nach Danzig, dann auf dem Schiff nach Shanghai. Dort gibt es ein Ghetto, in dem seit der Oktoberrevolution Juden aus Russland Zuflucht finden.

Bei einem Bootsausflug im Hafen von Shanghai verliert Gregor seinen Bruder, der über Bord fällt und ertrinkt. Als die Lage in China prekär wird, fliehen die Bests in die Sowjetunion, an die Wolga, wo die Russlanddeutschen wohnen. Gregor geht zur Schule und wird dann Schmied. Als die Deutschen die Sowjetunion überfallen, 1941, ist Gregor 16 und wird Rotarmist.

Die Kanone vorm Kommissariat

Als Panzerfahrer kehrt er heim, und zwar über Auschwitz- Birkenau. Dort sitzt er im dritten Panzer, der das KZ befreit, und wird sich bis an sein Lebensende an die Rufe der befreiten Häftlinge erinnern. So erzählt er es. Er überquert die Oder, beobachtet, wie ein anderer Panzer im Fluss versinkt, er ist vorn dabei, als die Russen die Seelower Höhen im Osten von Berlin einnehmen. Dort kommt er knapp mit dem Leben davon, als sein Panzer im bergigen Gelände bei rasend-springender Fahrt auf einem deutschen Panzer landet, welcher explodiert.

In Berlin-Friedrichshain gelangt er auf lärmenden Ketten zum Boxhagener Platz, dort erinnert er sich an den Tod des Vaters, rattert weiter zur nächsten Polizeistation, richtet das Kanonenrohr aufs Kommissariat, läuft hinein, findet die Akten, die den Polizistenmord dokumentieren, stellt die daran beteiligten Beamten, alle vor Ort, zur Rede – und erschießt sie.

Mit seinem Kamerad Juri raucht er den ersten Joint seines Lebens auf den Stufen des Reichstages. Juri hat das Gras aus Kasachstan mitgebracht mitsamt der Mahnung seines Vater, das Zeug erst zur Feier des Sieges zu rauchen. Eine Geschichte, die Gregors späteren Freunden vom Boxhagener Platz, mit denen er viele weitere Joints teilt, besonders gut gefällt. Lauter Friedenspfeifen!

Im Sommer 1945 kommt Stalin nach Deutschland. Bei den Verhandlungen zum Potsdamer Abkommen teilt er das Land mit den Alliierten auf. Gregor ist dabei. Nicht am Verhandlungstisch, das wäre unglaubwürdig. Gregor chauffiert Stalin durch Potsdam und auch mal nach Berlin, und zwar inkognito in einem Bäckerauto. Stalins Paranoia ist ja gut bekannt.

Gregor hat sich als Panzer- und Stalinchauffeur bewährt, der russische Geheimdienst interessiert sich für den jungen Soldaten. In Russland macht er eine Ausbildung zum Agenten. Um schließlich nach Amerika geschickt zu werden. Gern wird er erzählen, wie er in russischer Soldatenmontur von Japan aus dorthin übersetzt, um auf dem Motorrad durchs Land zu fahren und vom amerikanischen Volk freundlich aufgenommen zu werden. Der Kalte Krieg fängt ja erst an.

30 Jahre Knast

In den USA lernt er blitzschnell Englisch, legt sich eine neue Identität zu und heißt fortan: Robert Glenn Thompson. Als solcher gelangt er in die US Army, kommt wieder nach Berlin, und zwar nach Tempelhof zur Spionageabwehr. Immer undercover, immer mittenmang, als Doppelagent nunmehr.

Drei Jahre in Berlin, dann wieder in den Vereinigten Staaten, immer weiter für den KGB. Was genau er dort ermittelt, bleibt im Dunklen, öffentlich hingegen wird seine Gefangennahme durch das FBI. 1964 ist das, 1965 wird er zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt. Und das nun ist verbürgt. Im Internet und etlichen Büchern findet sich viel über den Russenspion Robert Glenn Thompson. Auch Bilder, auf denen er zweifelsfrei zu erkennen ist.

Nach 13 Jahren Knast kommt er frei, ein Agentenaustausch, und er kehrt heim in die Stadt, in der er aufgewachsen ist, Berlin, jetzt Ost-Berlin, Hauptstadt der DDR. Er heißt nun wieder Gregor Alexander Best und trifft auch seinen Kumpel Erich Mielke wieder, den er 1945 kennengelernt hat. Wovon genau er jetzt lebt, wird er später nicht erzählen. Vielleicht von der Malerei? Ein anerkannter Künstler ist er nämlich auch. In den USA hatte er schon große Ausstellungen, erzählt er, da hat er auch für den Ehemann von Marilyn Monroe ein Bild gemalt. Im Knast hat er weitergemalt und in der DDR erst recht. Außerdem hat er jetzt eine neue Familie mit zwei Töchtern. Seine erste Frau nebst drei Kindern musste er in den USA zurücklassen.

Die Mauer fällt, nicht zuletzt durch seine Mitwirkung. In dem Film, der über ihn gedreht wurde, erzählt er, wie er Ende der 80er mit Erich Mielke und einem anderen Stasi-General in seiner Küche beisammensitzt und mit der Faust auf den Tisch haut, dass die Platte bricht: Die Mauer muss weg!

Deutschland vereinigt sich, Gregors zweite Familie zerfällt. Irgendwann zieht er in eine kleine Wohnung in der Krossener Straße, gleich beim Boxhagener Platz. Er ist jetzt arm, selbst der russische Geheimdienst hat ihn im Stich gelassen und unterstützt ihn nicht mehr. Seine Ex-Frau und die Töchter wollen nichts mehr von ihm wissen, zu Frau und Kindern in Amerika gibt es sowieso keinen Kontakt. Dafür gibt’s den Boxi, den Platz seiner Kindheit, und die ganzen Menschen dort, die sich für ihn interessieren.

Gregor Alexander Best auf dem Boxhagener Platz
Gregor Alexander Best auf dem Boxhagener Platz

© privat

Gregor, groß und dick, mit weißen, langen Haaren und mit weißem Vollbart. Eine beeindruckende Erscheinung. Man kommt leicht ins Gespräch mit ihm. Sehr gern erzählt er seine Geschichten. Er erzählt sie mit breitem amerikanischen Akzent. Aber ist er nicht in Deutschland aufgewachsen? Egal, er war doch so lange in Amerika. Er zeigt rüber zu dem Baum, dem größten von allen, an dem die Nazis seinen Vater umgebracht haben. Es ist nicht immer ganz leicht, ihm in seinen Erzählungen zu folgen, sie sind oft sprunghaft. Wie war das mit den russischen Atombomben, die er nach Amerika gebracht hat? Über die findet man jetzt nicht so leicht etwas im Netz. Na ja, mag sein, so was Brisantes wird gern unter den Teppich gekehrt.

Gregor lädt die Leute gern zu sich in seine Wohnung, er ist hilfsbereit, besonders jungen Frauen gegenüber. Er tritt bei kleinen Veranstaltungen auf, wo er von seinem Leben berichtet. In der linken Friedrichshainer Besetzerszene wird er zum Maskottchen. Ein echter alter Antifaschist. Einer von uns.

Als er stirbt, sind viele traurig. Und etwas irritiert, als sie auf dem Grabstein unter seinem Namen „Gregor Best“ ein ganz anderes Geburtsjahr lesen. Da steht 1935 und nicht 1925. Was soll’s, er liegt ja auf dem falschen Friedhof, da waren sie bestimmt auch bei dem Stein nicht so ganz sorgfältig.

Was aber, wenn es doch stimmt, wenn er nur 84 war und nicht 94? Was stimmt dann von seinen Geschichten? Hier kommt der Nachruf auf denselben Mann, der ein ganz anderer war: Robert Glenn Thompson, geboren am 30. Januar 1935 in Detroit.

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