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Roger Baptist alias Rummelsnuff hat gerade eine neue CD herausgebracht: „Salzig schmeckt der Wind“.

© Doris Spiekermann-Klaas

Musiker Rummelsnuff: Das subkulturelle Gesamtkunstwerk

Muskeln, Shantys und Elektrosound: Zu Besuch bei Musiker Rummelsnuff in seinem Heimatkiez Niederschöneweide.

Wie ein lebensgroßer Bronzeguss steht er da auf dem Asphalt. Oder eher wie ein Mannsbild aus fleischfarbenem Marmor? Oder aus glatt poliertem Eisen? Ganz gleich, an welches Material man denkt: Wie er da so steht, der Rummelsnuff, steht er für Kraft, Masse, Schwerathletik.

Doch nicht als Pumper ist dieser Mann bekannt geworden, sondern als Musiker und Gesangskünstler mit einem Faible für die seltsame Mischung aus Elektro und Shantys, Lieder über das Wasser und die Einsamkeit und die letzten wahren Männerberufe, Gerüstbauer und Heizer.

Die muskulöse Körperlichkeit hat ihn als Musikus unverwechselbar gemacht. Seit ein paar Jahren fungiert und firmiert der Mann als subkulturelles Gesamtkunstwerk – Hersteller von Musik auf Konserven, Darsteller in Musikvideos und, vor allem, als körperbetontes Live-Ereignis, genannt „Käptn Rummelsnuff“. Der Name? Schwere Schultern rucken nach oben. „Es gibt keine Geschichte dazu.“

Sein Wohnort ist ein Schrauberhof in Niederschöneweide. Schon wieder Metall, aber nicht als musikalische Klassifizierung, sondern als Lebens-Möblierung. Vor Rummelsnuffs Haustür stehen Hantelbänke, liegen Kettlebells und Zehn- und Zwanzig-Kilo-Scheiben, viele mit einer Patina aus leichtem Rost, die auf eine lange Sportlerkarriere verweist. Über dem Eingang zum Wohnhaus ist eine Klimmzugstange angebracht.

Abgeschiedene Orte zieht er vor

Der Schrauberhof besteht aus viel Platz und eingeschossigen Gebäuden, von denen einige zum Wohnen, andere als Werkstätten oder als Kindertagesstätte genutzt werden. Eins der flachen Häuser beherbergt Rummelsnuff mit seinen Sportgeräten und seinen Musikinstrumenten, allen voran ein Akkordeon und die Gitarre.

Das letzte – oder auch erste – der Häuser an der Straße ist eine Gedenkstätte: In den flachen Gebäuden waren zu Nazi-Zeiten italienische Zwangsarbeiter untergebracht. Rummelsnuff sagt, in dem Haus, das er bewohne, sei wohl mal der Küchentrakt untergebracht gewesen. Den Besuch in der Gedenkstätte hat er noch vor sich.

Als Musiker und Mann mit Raumbedarf zieht der Käptn zum Wohnen dem normalen Mietshaus abgeschiedenere Orte vor. Jahrelang arbeitete und pumpte er auf dem weiten Gelände des früheren Funkhauses Nalepastraße. Dann zog er in ein Gewerbegebiet in Marzahn, in die Nachbarschaft einer Großküche.

Hier auf dem Schrauberhof, eine mit Zufalls Hilfe gefundene Adresse, stört es nicht, wenn er mit dem Akkordeon probt. Auf einer Hebebühne gegenüber wird gerade ein Amischlitten aus den 70ern motormäßig eingestellt, der V8 brüllt auf.

Musizierende Eltern

Dieser Tage bereitet er sich mit der neuen Doppel-CD „Salzig schmeckt der Wind“ auf eine Tour in Richtung Schweiz vor. Musik war ihm in die Wiege gelegt, ein dazu passendes Karrieremuster aber nicht. Roger Baptist, so heißt er amtlich, hatte eine musizierende Mutter und einen musizierenden Vater.

Beide waren, so schreibt er in seiner 2017 veröffentlichten Lebensgeschichte, so mit der Musik beschäftigt, dass der Junge bei den Großeltern aufwuchs, zeitweise in Köpenick, zeitweise im sächsischen Großenhain. Mit Köpenick verbindet ihn die Erinnerung an das Großeltern-Idyll mit Häuschen, nicht weit weg vom gerade frisch hochbetonierten Allende-Viertel.

Wohin er als kleiner Junge mit dem Rädchen flitzte, weil dort, wie er sagt, „die Action war“. Mit Großenhain verbinden ihn die Erinnerung an eine Musikschule, auf der er das Fagottspielen lernte, an eine kraftstrotzende Jugend mit Eisensport, Armdrücken und Viel-Bier-Trinken und ein sanftes, unvergängliches Sächseln in der rauen Stimme.

Inzwischen steht Rummelsnuff so stabil in der Berliner Subkultur, dass der Käptn ohne andere Jobs auskommt. Doch über Jahre war das Gesamtkunstwerk Rummelsnuff ein Werden, wie das so ist bei den Freunden des Eisensports. Für den Brot- und Proteinerwerb waren Jobs zu verrichten, vorzugsweise solche, in denen das Nützliche – Geldverdienen – mit dem Angenehmen – Hantelnstemmen – zu verbinden war.

So passte der Nachtmensch in einem 24-Stunden-Gym auf den Betrieb und die Geräte auf und konnte dort trainieren. Dann rekrutierte man den massiven Glatzkopf, um die hintere Tür des „Berghain“ zu betreuen und den Einlass ins sogenannte LabOratory zu regeln – einen Ort für hormonstrotzende Männerpartys.

Auf den Club lässt er nichts kommen, auch wenn er den Türsteherjob nicht mehr macht, seit sich sein Leben „immer mehr auf die Ausfüllung der Figur Rummelsnuff verlagert hat“. Er glaubt auch nicht, dass der weltbekannte Technotempel von der Touristifizierung geschleift werden könnte. „Dass diese Attraktivität durch anhaltende Massenanstürme verloren geht, muss keiner befürchten, denn dafür sorgen die Kollegen an der Tür und das Konzept dieses einmaligen Vergnügungshauses.“

Der Mann der Nacht hat im Normalbetrieb gern ein bisschen Freiraum um sich – auch deshalb: weniger Mitte oder Friedrichshain, lieber Niederschöneweide, die Bank neben dem Hauseingang, die Hanteln griffbereit – und Platz zum Abstellen seines Tourbusses und Reisemobils vor der Haustür, gleich neben seinem alten Mercedes 200.

Niederschöneweide ist nett, aber unspektakulär. Am Ende von Rummelsnuffs Wohnstraße liegen Mietshäuser aus den Sechzigern – eine „Rentnersiedlung“, sagt der Musiker, manche sind Erstmieter, zum Beispiel die Mutter eines befreundeten Bassisten. Ein paar unauffällige Restaurant in der der Gegend – nichts, was Rummelsnuff reizt, zumal er dem Alkohol abgeschworen hat.

Altbauten werden grundsaniert, Staub quillt aus den Fenstern. Vom Netto-Parkplatz gegenüber Rummelsnuffs Straße hat man einem schönen Blick auf das postindustrielle Oberschöneweide gegenüber. Die Mensa der Hochschule für Technik und Wirtschaft liegt direkt am Wasser, ein paar Meter weiter das „Kranhaus“-Café, der eindrucksvolle Behrensbau an der Wilhelminenhofstraße – Industrieromantik für die Jugend von heute, sofern ihr Oberschöneweide nicht zu entlegen ist.

Die Müggelspree ist sein Naherholungsgebiet

Den Musiker zieht es weniger ins Zentrum der Feiermetropole als über deren Grenzen hinaus. Auf dem Schrauberhof steht außer dem altgedienten Mercedes ein VW-Bus. Der Käptn hat ihn vor Jahren mit bloß 50.000 Kilometern gebraucht gekauft. Inzwischen hat der Kastenwagen, den ein Freund zum Wohn- und Kraftsport-Mobil umbaute, einschließlich Bord-Hanteln und zwei Zugvorrichtungen, um Brust und Rücken zu stählen, schon 470.000 auf dem Tacho.

Immer mal wieder steuert der Käptn das rollende Heim in Richtung Südosten – die Müggelspree ist sein Naherholungsgebiet. Rummelsnuff mag das Wasser, das ist den Shantys anzumerken, das sagt er selbst. Er mag es sogar sehr kalt. Neben einer der Hantelbänke auf dem Schrauberhof steht eine Zinkwanne für ein schnelles Eisbad im Winter. Das tut den strapazierten Gelenken gut.

Rummelsnuff steigt allerdings auch in die Spree, um ein Eisbad zu nehmen – und nicht bloß für ein Video. Warum? „Eigentlich ist das der Arschtritt, den ihm sonst keiner gab“, sagt der Eisenmann, der von sich selbst gern in der dritten Person spricht: „Wer hart zu sich selbst sein kann, den haut’s auch nicht so leicht um, wenn’s andere zu ihm sind. Und es hilft auch im praktischen Sinne. Man spart an dicker, lästiger Kleidung und nicht zuletzt gönnt man sich einen fabelhaften Moment: dieser Moment, wenn die Wärme langsam in die Glieder zurückkehrt.“ Das ist eine Überlegung wert.

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