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Berlin: Mut zur Öffentlichkeit

Schulleiter Volker Steffens hat mit seinem Offenen Brief über Jugendliche, die einen Mord guthießen, eine Werte-Debatte ausgelöst

Auf dem Zettel hinterm Schreibtisch an der Wand steht: „Nix is fix“. Volker Steffens hat sich jetzt als Schulleiter besonders flexibel gezeigt. Kaum hatten einige seiner Schüler der Thomas-Morus-Hauptschule den Mord an einer jungen Türkin in der Klasse gelobt, ging der 56-Jährige an die Öffentlichkeit – und avancierte damit zum derzeit bekanntesten Schulleiter Berlins. Zugleich hat Steffens die Diskussion um Werteunterricht neu angefacht.

„Eigentlich wollte ich mit dem Offenen Brief eine Diskussion in der Schule anstoßen“, sagt der Pädagoge. Doch nun beraten auch die Fraktionen im Abgeordnetenhaus erneut über Wertekunde an der Schule. Bildungssenator Klaus Böger (SPD) hofft auf neuen Antrieb: Er will ein Wahlpflichtfach Lebenskunde/Ethik/Religion (LER) nach Brandenburger Vorbild, alternativ dazu sollten die Schüler weiter Religionsunterricht belegen können. SPD-Linke, Grüne und PDS wollen auch LER – aber als Pflicht für alle.

Mit solch Resonanz – auch der Medien – hat Steffens nicht gerechnet. „Aber den Jugendlichen tut sie gut. Sie sehen, dass man sie ernst nimmt. Und die Mehrheit, die die Äußerungen zum Mord nicht gut findet, fühlt sich bestärkt.“ Der Englisch-, Deutsch- und Erdkundelehrer habe vergleichbares in den 34 Jahren an der Morus-Schule noch nicht erlebt. Als Steffens anfing, 1971, stand er mit langen Haaren vor der Klasse. „Ich war gerade zehn Jahre älter als meine Schüler. Die waren zwölf, ich zweiundzwanzig.“ Damals gab es kaum nicht-deutsche Schüler, noch viel größere Klassen. Steffens hat Umzüge mitgemacht, Zusammenlegungen, und seit 1980 zunächst als Konrektor, ab 1996 als Rektor viele innovative Programme in den Schulalltag integriert: freiwilliger Ganztagsbetrieb, Förderklassen für lernbehinderte, für ausländische Kinder. Mofa-AG, Musikkurse, Führerscheintheorie, Mädchenfußball.

Es waren die ausländischen Mädchen, hinter die sich Steffens jetzt stellte. „Als mir ein Mädchen sagte, sie fühle sich hier unfreier als in der Türkei, hat mich das berührt.“ Und doch gibt es auch mindestens eine junge Ausländerin an der Schule, die den offensichtlichen Ehrenmord billigt.

Den Schülern macht Steffens jetzt noch eindringlicher klar, dass sich der Namenspatron ihrer Schule, Humanist und Philosoph Thomas Morus, schon vor 500 Jahren für die Gleichberechtigung der Frau eingesetzt hat. In den nächsten Tagen wird die betroffene Klasse mit Eltern und Lehrern tagen; mit dem schulpsychologischen Dienst im Bezirk will Steffens bald ein Treffen vereinbaren. Auch der Türkische Bund Berlin-Brandenburg hat seine Mithilfe angeboten.

Annette Kögel

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