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Jolande Wussow 1927-2015. Links in ihrer letzten Rolle als Konstanze in "Der Bettler unter der Treppe"

© privat

Nachruf auf Jolande Wussow (Geb. 1927): „Schmeiß weg. Gibt alles neu“

Die Schauspielerei gab sie für ihren Mann auf. Und sprach, nachdem er sich von ihr hatte scheiden lassen, nie schlecht über ihn. Der Nachruf auf eine, die das Leben nahm, wie es kam.

Von Julia Prosinger

Er war kein böser Mensch, der Mann, der sie beinahe vergewaltigt hätte. Fast noch ein Junge außerdem. Die anderen russischen Soldaten hatten ihn unter Druck gesetzt. Und am Ende hat er es ja gar nicht getan.

So verteidigt Jolande Wussow, Jahre nach dem Krieg, was auf einem märkischen Bauernhof 1945 vorgefallen war. So großzügig kann sie sein. Und sich so tief in andere Welten hineinversetzen.

Jemand mit dieser Fantasie gehört auf die Bühne. Der Krieg ist vorbei, da kann die Jolande endlich Schauspielerin werden. Sagen die Freundinnen. Als Teenager hatte sie ihre erste Statistenrolle an einem Berliner Theater, gab mit kinnlangem Haar und einer Standarte in der Hand einen Pagen, wartete am Bühneneingang des Deutschen Theaters für einen Blick auf Albin Skoda und freundete sich dabei mit dem jungen Klaus Schwarzkopf an, der mal ein berühmter Tatort- Kommissar werden sollte.

Aus dem Krieg direkt in die Philharmonie

Zu dessen Mutter wurde sie in den letzten Kriegswirren nach Neuruppin aufs Land verschickt, wo das Mädchen aus der Großstadt mit Turban und Sonnenbrille herumstolzierte. Sie ackerte beim Reichsarbeitsdienst, bis ihre Mutter sie abholte und sie gemeinsam und verhängnisvoll den Russen begegneten.

Jolande mit ihrem engen Freund Klaus Schwarzkopf
ausJolande mit ihrem engen Freund Klaus Schwarzkopf

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Mit blutigen Füßen erreichten sie schließlich Berlin, den Wahnsinn des Krieges in den Knochen, das Haus ausgebombt, aber alles wird gut: Da hängt ein Plakat, die Philharmoniker spielen! Für alle, die das jetzt brauchen. Die Zivilisation hatte sie wieder.

Die Aufnahmeprüfung am Hebbel besteht Jolande Franz, weil sie spontan zur Komödiantin wird, als die anderen Bewerberinnen pathetisch das Gretchen geben. Ernst Schröder und Walter Felsenstein sind ihre Lehrer.

Verliebt in Klausjürgen Wussow

In Waren an der Müritz bekommt sie ihr erstes Engagement, spielt Emilia Galotti, außerdem Unterhaltsames und Zeitgenössisches. Vor allem aber lernt sie hier Klausjürgen Wussow kennen. Sie heiraten 1951, und als er aus Frankfurt am Main ein Angebot bekommt, zieht sie gleich mit. Hält sein Geld beisammen, zieht die Tochter auf. Konstanze, benannt nach ihrer letzten Rolle.

Großzügig sein, das hat Jolande von daheim gelernt. Der Opa, ein jüdischer Kaufmann, trieb die Mieten für sein Haus am Bayerischen Platz in schlechten Zeiten nicht ein. Der Vater, befreundet mit Literaten wie Gottfried Benn, beriet als Anwalt Künstler. Meist war deren Gesellschaft sein einziger Lohn.

Jolande im Alter von acht
Jolande im Alter von acht

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Ihre Eltern, sagte Jolande oft, seien die begabtesten überhaupt gewesen. So gut konnten sie mit Kindern umgehen. Mittags kam der Vater aus der Kanzlei um mit dem Mädchen zu spielen. Einmal wollte er sie bestrafen, weil sie etwas angestellt hatte. „Dann musst du eben allein spielen“, bedauerte sie ihn da. Als Jolande 15 wurde, bat er sie ins Arbeitszimmer und klärte sie auf: über die Kriegsverbrechen der Nazis. Dank seiner guten Kontakte kam das „Mischlingskind“ durch die Schule. Und weil man in diese Zeit hinein keine Kinder setzt, blieb Jolande einzeln.

Sie bleibt Bildungsbürgerin

Großzügig sein heißt dann, das Schauspielen aufzugeben. Nie würde Jolande um eine Rolle betteln, dazu ist sie zu stolz. Sie nähme auch keine, die man ihr wegen ihres brillanten Mannes andiente. Seine Gagen steigen rasant. Sie ziehen nach Düsseldorf. In einem Schaufenster hängt ein schönes Kleid. „Ich kauf es dir, du bist doch mein Aushängeschild“, sagt er. „Das bin ich nicht“, sagt sie. 1960 lassen sie sich scheiden.

Ihr Ex-Mann heiratet noch drei Mal, Jolande nie wieder. Nicht einmal wird sie böse über ihn sprechen.

Sie nimmt die Tochter, zieht zurück nach Berlin, zurück in ihr Friedenau, sie besucht die Handels- und Sprachenschule, wird Sekretärin im Museum Dahlem, Skulpturenabteilung. Sie bleibt Künstlerin. Sie verehrt das Wissen. Sie ist doch eine Bildungsbürgerin.

Man sollte sie nicht unterbrechen

Viele Jahre später, Klausjürgen Wussow ist längst gestorben, begrüßt Jolande die Tochter der Frau, für die er sie verlassen hatte, in ihrer Wohnung. Sie breitet die Arme aus.

„Schmeiß weg. Gibt alles neu“, sagt sie, wenn ihre Enkel ein Glas zerdeppern. Am Telefon klingt sie wie ein junges Mädchen, sie hüpft grazil in Jeans und Karobluse die Treppe hinab, zwinkert auf dem Spaziergang Kindern zu und pflückt Goldruten und Stechpalmen am Friedenauer Güterbahnhof. Wenn sie lieber Schiller als Goethe zitiert und den Enkeln Geschichten erzählt, wagt keiner sie zu unterbrechen.

Ich will nicht mehr

Die Wucht ihres Zorns lässt sich nur erahnen. Ob sie denn nicht ihr Erbrecht geltend machen wolle, es gebe da doch noch dieses Grundstück am Scharmützelsee, fragt eine Verwandte. „Da leben Leute drin!“, ruft Jolande und lässt ihre Stimme anschwellen. Eine ausgebildete Stimme. Auch wenn sie Jahrzehnte auf keiner Bühne gestanden hat.

„Ich habe mein Leben lang Theater gespielt“, betont sie. Und nach einem Herzinfarkt zur Tochter, als stecke sie mitten in einer Rolle: „Du sprichst mit einer Sterbenden!“

Als das Theater nur noch nackt, blutig und genuschelt ist, als Jolande Wussow das Abonnement für die Philharmonie abbestellt, weil sie nicht mehr lang sitzen kann, als die Familie meint, sich um sie kümmern zu müssen, da sagt sie erst: „Ich möchte nicht mehr.“ Ein paar Jahre später: „Ich will nicht mehr.“

Und zuletzt: „Feierabend.“

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