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Hans-Joachim Behrendt-Snyder

© privat

Nachruf auf Hans-Joachim Behrendt-Snyder: Immer dasselbe Geklapper

Er trommelte im Spielmannszug, in Afrika und Asien und dann mit „Ideal“ auf großen Bühnen. Und machte schließlich eine Baufirma auf.

Das Erste, was Oskar Matzerath sieht, nachdem er zur Welt gekommen ist, ist ein Falter, der zwischen zwei brennenden Glühbirnen hin und her taumelt. Wie eine Trommelorgie habe es sich angehört, wenn der Falter gegen die Glühbirnen schlug, erzählt er später. Zu seinem dritten Geburtstag schenkt ihm seine Mutter eine Trommel aus Blech. Auch Hansi – er stellte sich selbst stets unter diesem Namen vor und fand ihn überhaupt nicht lächerlich – wurde eine Trommel aus Blech geschenkt, mit fünf oder sechs.

Nun kann weder er noch irgendjemand anderes sagen, was er, Hansi, zum Zeitpunkt seiner Geburt gesehen und gehört hat. Die Geräusche seiner Kinder- und Jugendjahre aber, so hat er es bekundet, erschienen ihm gleichtönig. Immer dasselbe Geklapper in der kleinen Sportartikelfabrik der Eltern in Unkel, einer Fachwerkstadt südlich von Bonn, ihre immer selben Werbegespräche auf Messen, auf denen er, mit elf, zwölf, potentiellen Käufern die Bälle mit ein paar flotten Schüssen vorzuführen hatte. Gleichzeitig das Verstummen, das ihm unerträglich laut vorkam, nach den Verkaufsverhandlungen: das Schweigen der Mutter, einer Protestantin, über ihre Vertriebenengeschichte, das des Vaters, eines Katholiken, über die Hölle des Krieges.

Hansi selbst wurde, obwohl fast alle anderen in der Gegend katholisch waren, evangelisch getauft, vermutlich ein Wunsch der Mutter. Was jedoch bedeutete, dass er regelmäßig von den katholischen Jungs verprügelt wurde.

Fröhliche Märsche im Spielmannszug

Aber er hatte ja sein kleines blechernes Instrument. Er mochte Musik, Rhythmus, Rhythmuswechsel. Und trommelte gegen das alltägliche Einerlei, gegen die Wortlosigkeit der Eltern, den Druck der Jungs. Hansi schlug nicht, wie Oskar, stoisch und störrisch jederzeit und überall auf seine Trommel, sondern musizierte ausschließlich unter Anleitung im Unkelner Spielmannszug, der auf Winzerfesten fröhliche Märsche schmetterte.

Und er wollte auch auf jeden Fall, anders als Oskar, wachsen, nicht das ewige Kind bleiben. Wollte weg aus der mittelrheinischen Weinbauidylle. Stand schon früh auf Berlin und saß mit 17 endlich in dem Zug, der bis zum Bahnhof Zoo fuhr.

Er stieg aus und sah und hörte, was „Ideal“ ein paar Jahre später in ihrem Song „Berlin“ besingen sollte: Mauer, Mariannenplatz, Türkenmelodien aus dem Hinterhof, Ruinen, auf dem Gehweg Hundekot, das Café „Morgenrot“, den Kurfürstendamm mit seinem Ramsch am Straßenrand, das Gehämmer der Bässe im „Dschungel“. Hansi liebte das alles, sofort.

Er fing an, mit Percussionsinstrumenten, Rasseln, Zimbeln, Chimes, durch Folkclubs zu tingeln, stieg bei dem Jazzgitarristen Volker Kriegel ein, tourte mit ihm durch Afrika und Asien und kaufte sich sein erstes Schlagzeug.

Dann kam „Ideal“, seine Band. Annette Humpe, die Sängerin, sagte nach Hansis Tod: „Er hat sehr perkussiv gespielt, irrsinnig gegroovt und ein Timing gehabt, was die wenigsten Schlagzeuger haben.“ Der Erfolg von „Ideal“ war phänomenal. „Blaue Augen“, „Berlin“, „Eiszeit“, zuerst vor ein paar hundert Herumspringenden im Kreuzberger „SO 36“, dann vor 22.000 in der Waldbühne. Die Neue Deutsche Welle konnte selbst Dieter Thomas Heck nicht ignorieren. Im Hitparaden-Publikum saßen dauergewellte Damen mit Herren, denen die Haare ausgingen und schwankten zwischen Empörung und dem Drang mitzuklatschen, aber zum Mitklatschen war die Musik zu schnell.

Manchmal hörte er sich selbst im Radio

Im Flur der Eltern in Unkel hingen Hansis Goldene Schallplatten, in der Küche Fotos des trommelnden Sohnes. Sie mochten seine Musik nach wie vor nicht besonders, waren aber trotzdem stolz auf ihn, und Hansi freute sich darüber. Nur drei Jahre dauerte der Rausch, 1983 löste sich „Ideal“ auf. Hansi stieg bei „Chinchilla Green“ ein. In der Band galt die Abmachung: keine Paare! Aber Julia, der kanadischen Keyboarderin, und Hansi war es unmöglich, sich daran zu halten. 1994 heirateten sie.

„Chinchilla Greens“ Erfolg hielt sich in Grenzen. Hansi beschloss auszusteigen, nicht nur aus der Band, sondern aus dem ganzen Musikgeschäft. Er wusste, so berühmt wie mit „Ideal“, würde er nie wieder werden, er wollte nicht als Tingeltangel-Schlagzeuger in irgendwelchen Vorstadtschuppen enden.

Er suchte festen Boden unter den Füßen und gründete eine Baufirma. In das Gewerbe war er eher zufällig hineingeraten, er hat da jemanden gekannt und hat sich alles selbst beigebracht. Er betreute Baustellen, beauftragte Maurer, Klempner, Elektriker, hatte seine eigenen Angestellten.

Mit Julia reiste er in die Wärme, fotografierte in Thailand, Kambodscha und auf Gran Canaria. Las Abenteuerromane. Kaufte sich ein Segelboot, obwohl er leicht seekrank wurde und gar keinen Segelschein besaß. Er besorgte sich ein Stand-Up-Paddle-Board, lief vom vierten Stock der Wohnung am Paul-Lincke-Ufer runter zum Landwehrkanal, Julia schaute oben aus dem Fenster und winkte ihm zu, während er auf seinem schwimmenden Brett langsam in Richtung Neukölln verschwand.

Er kochte, Sous-vide erachtete er als die ultimative Garmethode. Spargel, 25 Minuten bei 85 Grad, Rippchen 24 Stunden bei 65 Grad. Sein Gratin sah aus wie eine Grafik, so exakt legte er die Kartoffelscheiben aneinander. Und manchmal, wenn er in der Küche werkelte, spielten sie im Radio „Berlin“ oder „Monotonie“. Manchmal hörte er sich auch selbst, in „Schöne Frau mit Geld“, dem einzigen Ideal-Lied, in dem er gesungen hat. Irgendwann fragte ihn Annette Humpe, ob er für ein paar Gigs auf „Ich+Ich“-Tour kommen wolle. Er wollte nicht. Julia sagte lachend: Na los, das wird bestimmt lustig, wie früher! Und er fuhr mit.

Ende September 2022 wurde ein Lungentumor bei Hansi entdeckt. Chemotherapie und Bestrahlung liefen ganz gut, dann bekam er eine Lungeninfektion. Die Ärzte rätselten. Es stellte sich heraus, dass er dieses eine Medikament, das die Ausbreitung neuer Krebszellen verhindern sollte, nicht vertragen hatte.

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