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Berlin: Nazi-Gedankengut in Abitur-Klausur

BERLIN .Die Diskussion um rechtsradikale Tendenzen an den Berliner Schulen weitet sich aus.

BERLIN .Die Diskussion um rechtsradikale Tendenzen an den Berliner Schulen weitet sich aus.Dem Tagesspiegel wurde ein Fall aus Marzahn bekannt, bei dem Gesamtschüler eine Abiturklausur offenbar dazu nutzten, den Nationalsozialismus positiv darzustellen - ohne daß die korrigierende Lehrerin dies zunächst monierte.Auch die Aufgabe der Abi-Arbeit, die Weimarer Republik anhand einer Rede von Göring am 3.März 1933 bei einer NSDAP-Kundgebung zu analysieren, wird im Landesschulamt als "ungeschickt" bezeichnet.Der Vorsitzende der Prüfungskommission hingegen weist die Kritik als unbegründet von sich - und wirft wiederum dem Landesschulamt vor, die Aufgabenstellung selbst genehmigt zu haben.

Nach der Weimarer Republik seien die Menschen in Deutschland mit der Zeit des Nationalsozialismus sehr zufrieden gewesen, weil etwa durch den Bau der Autobahnen Arbeitsplätze geschaffen wurden, hatte der Schüler sinngemäß in der Klausur im Fach "Politische Weltkunde" geschrieben.Durch die Diskriminierung der Juden und deren Deportation seien dann weitere Arbeitsplätze frei geworden.

Nach Information des Tagesspiegels, dem beteiligte Schulen und Lehrer bekannt sind, hat die Erstkorrektorin aus Marzahn diese Formulierung zunächst weder kommentiert, noch die Zensur entsprechend verschlechtert.Erst nach Einwirken des Zweitkorrektors sei die Einschätzung "zynisch" an den Rand geschrieben und die Note drastisch auf vier minus verändert worden.

Lehrerin und Schulleiter waren für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.Bei der Außenstelle des Landeschulamtes in Marzahn erklärte Schulrätin Edelgard Pohlheim auf Anfrage, "ein Schüler hat tatsächlich rechtsradikales Gedenkengut geäußert", dies sei nach Rücksprache jedoch in der Arbeit angestrichen und in einem gemeinsam Gutachten bewertet worden.

Der im Landesschulamt für das Abitur zuständige Oberschulrat Gerhard Nitschke äußerte auf Nachfrage, die Aufgabenstellung der Kursleiterin sei "ungeschickt" und wirke wie "Zucker für den Affen".Sie animiere Schüler, wie in diesem Fall geschehen, die Klausur als Plattform für eine "bejahende und unterstützende" Darstellung der Staatsauffassung des Nationalsozialismus zu nutzen.Der Fachberater, der diese Aufgabe genehmigt hatte, sei "ein versierter Mann".Er werde ihn um Stellungnahme bitten.

Der Vorsitzende der zuständigen Prüfungskommission, der sich die Arbeit nach den Tagesspiegel-Recherchen noch einmal vornahm, warnte vor hysterischen und unnötig dramatisierenden Reaktionen."Ich kann nach der Lektüre nicht erkennen, daß explizit faschistisches Gedankengut geäußert wurde." Dies werde auch dadurch belegt, daß der Schüler den Begriff Deutsche in der Aussage zu den Arbeitsplätzen in Anführungszeichen gesetzt hatte.Er werde bei der Dienstbesprechung in der Schule jedoch darauf hinweisen, daß Lehrer stärker für das Thema sensibilisiert werden sollten - auch, "um Flüchtigkeiten zu vermeiden".Zudem sei solchen Problemen mit Noten allein nicht beizukommen.

Unterdessen äußerten zwei Lehrer dem Tagesspiegel gegenüber ihr Entsetzen darüber, daß sich einige Ost-Berliner Oberstufenlehrer als nationalistisch eingestellt erwiesen und die Schüler womöglich in rechten Überzeugungen unterstützten.Derart nahezu faschistoide Aussagen in Klausuren seien ihnen neu.Nach Einschätzung des Landesschulamtes verstünden einige Ex-DDR-Lehrer die Meinungsfreiheit falsch - besagt Paragraph eins des Schulgesetzes doch, das Ziel von Erziehung sei, Persönlichkeiten zu bilden, "die fähig sind, der Ideologie des Nationalsozialismus und allen anderen zur Gewaltherrschaft strebenden politischen Lehren entschieden entgegenzutreten".In Berlin werde an 170 Schulen das Abitur abgenommen.Ein "Debakel" wie dieses sei ihm noch nicht untergekommen, sagte Oberschulrat Nitschke.

Unterdessen meldete sich die Junge Union zu der Jugendstudie zu Wort: "Die etablierte Politik hat versagt!" Junge Leute wollten "schnelle Entscheidungen sehen, stattdessen dauert selbst eine Mini-Reform wie die Bezirksneugliederung Jahre".Parteitage verkämen zu Politshows, und Diätenerhöhungen bereicherten "den Frust".Junge Menschen spielten in der Politik nur eine Rolle, wenn sie "Drogen nehmen, Steine werfen oder Rechts wählen".Darüberhinaus wird die schnelle Veröffentlichung der Studie gefordert.Nicht einmal dem Büro von Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) ist es bislang gelungen, die Studie zu erhalten.Sie liegt bis zum 10.Juni bei der Stahmer-Verwaltung unter Verschluß.

In drei Monaten 113 Ermittlungsverfahren

Wegen rechtsextremistischer und ausländerfeindlicher Delikte sind in den ersten drei Monaten des Jahres in Berlin bereits 113 Ermittlungsverfahren eingeleitet worden.Insgesamt 33 Personen wurden wegen Körperverletzung, Raubes, Beleidigung, Volksverhetzung, Landfriedensbruchs und Bedrohung vorläufig festgenommen, wie Innenstaatssekretär Kuno Böse am Donnerstag auf eine parlamentarische Anfrage der PDS mitteilte.Gegen zwei Personen wurde Haftbefehl wegen Landfriedensbruchs erlassen.

In allen Verfahren dauern die Ermittlungen noch an.Dabei geht es unter anderem auch um die Verwendung von nazistischen und anderen verfassungswidrigen Kennzeichen, den Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz, Widerstand, Störung des öffentlichen Friedens, Sachbeschädigung und unbefugten Waffenbesitz.ADN

ANNETTE KÖGEL

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