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Die Kulturmanagerin Vanessa Remy möchte die Berliner Buch-Interessenten zu Lesungen in die denkmalgeschützte Buchhandlung locken. Dafür kooperiert sie mit namhaften Verlagen.

© Sven Darmer/ Davids

Neuer Literaturort für Berlin-Friedrichshain: Die Karl-Marx-Buchhandlung ist wieder offen

Neues Leben statt Leerstand auf der Allee. Nachdem lange nur noch ihre Leuchtschrift zu sehen war, ist die Karl-Marx-Buchhandlung jetzt wieder geöffnet – als Ort für Buchvorstellungen.

Der aus vielen kleinen Schnipseln zusammengesetzte Karl-Marx-Kopf scheint seltsam verwundert, wie er da von der Stirnwand „seiner“ Buchhandlung in der nach ihm benannten Allee auf ein ungewohntes Szenario blickt. Ein Schriftsteller namens Thomas Wendrich sitzt direkt unter dem Barte des Proleten-Propheten und liest aus seinem ersten Buch mit dem seltsamen Titel „Rosen für Putin“. Dies sei, sagt der Berlin-Verlag, „eine unerhörte Story über die Verschiebung des Westens in den Osten und die Ausbreitung des Ostens im Westen“ – also ziemlich aktuell, aber trotzdem lustig.

In den historischen Raum passen über hundert Zuschauer, der renommierte Radiomoderator Knut Elstermann sitzt mit am Tisch der Buchpremiere, und die Gäste sind am Ende davon angetan, „dass sich hier endlich mal was bewegt, was zur Belebung der Allee beiträgt“, wie es ein Besucher der ausverkauften Lesung formuliert.

Tatsächlich: Endlich kommt Leben in die Bude. Es gehört ins gut sortierte Berliner Raritätenkabinett, dass eine der besten Ost-Berliner Buchhandlungen mit sieben riesigen Schaufenstern nach der Wende schlapp (und 2008 endgültig zu-) machte – aber wegen ihrer Lage im Ensemble der einstigen Stalinallee unter Denkmalschutz gestellt wurde. Die Worte „Karl Marx Buchhandlung“ leuchteten weiter gelb-grün durch die Nacht, allein: Man konnte sich die Nase noch so platt drücken – nichts als leere Regale waren von der traditionsreichen Buchhandlung übrig geblieben. (Übrigens: Das „Gute Buch“ am Alex oder das „Internationale Buch“ an der Karl-Liebknecht- Straße teilten dieses Schicksal.)

Knut Elstermann flog als Junge aus dem Laden

Offenkundig sollte schon die Dimension eines Buchladens die Größe und Bedeutung der Literatur für das Leseland DDR symbolisieren. Für heutige Verhältnisse sei Größe ein Wagnis, sagt ein Insider, auch, wenn man – wie früher in der Allee – ein ganzes Stockwerk mit einem Antiquariat füllt. Professor Paulick, der Architekt, hatte Anfang der fünfziger Jahre ganz bewusst im Block C-Süd ein Geschäft für geistige Nahrung in ein Wohnhaus integriert. 35 Jahre lang ging das gut, mit preiswerten Büchern (und nicht nur mit Marx-Engels’ gesammelten Werken) und mit Laufkundschaft aus dem Westen, die das umgetauschte Ost-Mark-Kapital bei Karl Marx in Bücher investierte, billig, aber gut.

Viele erinnern sich noch daran. Knut Elstermann, der in der Nähe wohnte, wurde mit zwölf Jahren von einem Verkäufer angeraunzt und aus dem Laden geworfen, weil er im Antiquariat frech geworden war, heute erinnert er sich an „ein Universum voller Literatur“. Die Schriftstellerin Renate Feyl, die demnächst ihr Buch „Lichter setzen über grellem Grund“ vorstellt, war einst Buchhändlerin in diesem Haus.

"Es könnte die ganze Allee beleben"

Vielen tat das Schicksal der Buchhandlung leid, auch Vanessa Remy, wenn sie mit ihrem Rad an den leeren Regalen vorüberfuhr. Die temperamentvolle 38-jährige Kulturmanagerin hat ihre Erfahrungen im Bereich Presse und Veranstaltungen beim Aufbau-Verlag, dem Internationalen Literaturfestival und bei Suhrkamp gesammelt, und ihre Idee von einer Wiederbelebung teilte die „Cobblestone Filmproduktion“, die im Obergeschoss der Buchhandlung arbeitet. „Eine ganz besondere Aura schwebt in diesen Räumen“, sagt ein Cobblestone-Geschäftsführer, „wir versuchen, hier etwas Neues zu entwickeln“. Das manchen schon als anachronistisch geltende Medium Buch solle im wahrsten Sinn des Wortes wieder salonfähig gemacht werden. „Wir möchten hier wieder einen Kulturort haben, der die vielen Buchinteressenten, die in dieser Stadt leben, magisch anzieht“.

Es gibt Kooperationen mit namhaften Verlagen, Thalia kommt mit der Reihe „Literatur live“ in die Karl-Marx-Allee, im Programm stehen bereits elf Buchvorstellungen bis zum November, man möchte gern auf einen wöchentlichen Rhythmus kommen. Der Eintritt kostet acht Euro, ermäßigt sechs. Und an einer kleinen Bar kann der Durst gelöscht werden. „Alles soll so werden wie zur Premiere: Locker, freundlich, gelöst, kulturvoll“, hofft Vanessa Remy. „Es könnte die ganze Allee beleben“, sagt Katrin Mirtschink vom „Pankebuch“, das in Pankow viel Erfahrung mit der Wirkung von Literatur aufs kulturelle Klima hat.

"Komm, zieh dich aus!"

Leider ist die Karl-Marx-Buchhandlung nur bei Veranstaltungen geöffnet. Dann stehen die zahllosen Bücher, die die Cobblestoner gesammelt haben und die jetzt die Regale füllen, zum Schmökern zur Verfügung. Wo Buchhandlung drauf steht, muss also nicht immer Buchhandlung drin sein. Aber dekorativer als leere braune staubige Regale ist das allemal. „Das Kapital“ wird man schwerlich in dem Reigen guter und mäßiger literarischer Geister finden, eher schon ein „Handbuch der lyrischen Hocherotik deutscher Zunge“ mit dem Titel „Komm, zieh dich aus!“ Unverkäufliche Dekorationsware.

Vanessa Remy zeigt uns ihren Favoriten: Ein in Leinen gebundenes, schmales Büchlein aus dem Insel-Verlag Leipzig, die „Chronik von Goethes Leben“, erschienen 1953, „just in dem Jahr, als dieses Haus von jenen gebaut wurde, die am 17. Juni streikten und riefen: Wir wollen freie Menschen sein!“ Im Vorspruch rät der Meister: „Ältestes bewahrt mit Treue, freundlich aufgefaßtes Neue!“ Passt wohl auch hier.

Die nächsten Lesungen: 18. März: Peter Richter mit „89/90“, 19. März: Hanif Kureishi mit „Das letzte Wort“, 25. März: Renate Feyl mit „Lichter setzen über grellem Grund“. Je 19.30 Uhr, Karl-Marx-Allee 78, Friedrichshain. Infos zum Programm unter: www.karlmarx-buchhandlung.com

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