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Brennpunktbezirk: Neuköllns Türöffner

Neukölln setzt erfolgreich auf Migranten, um die Situation im Brennpunktbezirk zu verbessern. Zunächst sahen manche darin eine "störende Einmischung", doch jetzt nehmen viele das Angebot an.

Ihr Job erfordert Engagement. Oft steht Ayten Köse morgens in der Kälte vor der Hermann-Boddin-Grundschule und spricht Mütter und Väter an, die ihre Kinder bringen: „Wollen Sie nicht mal freitags in unser Elterncafé kommen?“, fragt sie Türken in ihrer Muttersprache, andere in akzentfreiem Deutsch. Seit einem halben Jahr leitet die 43-Jährige mit einer Kollegin die Schulstation im Haus. Hier können die Kleinen in unterrichtsfreien Stunden spielen oder mit den Sozialarbeiterinnen über ihre Probleme sprechen. Einmal die Woche bekommen auch die Eltern eine Sprechstunde, das Elterncafé. Dann sitzen etwa zehn Erwachsene in einem Büroraum, in dem Sofas und Schulstühle stehen, und unterhalten sich oder werden zu bestimmten Themen beraten.

Sozialarbeit für Eltern beim Tee oder Kaffee, en passant und ungezwungen – das ist das Konzept, auf das Bürgermeister Heinz Buschkowsky seit einigen Jahren in Neukölln setzt. Denn wer will, dass die Dreikäsehochs aus Migrantenfamilien besser Deutsch sprechen, nicht die Schule schwänzen und ihre Stärken entfalten, der muss an die Eltern ran. Das ist inzwischen Konsens. Vätertreffs, Sprachkurse für Mütter, Schulstationen als naheliegende Anlaufstelle – die Angebote wachsen stetig. Inzwischen haben alle 17 Grundschulen in Neukölln eine Schulstation eröffnet. Laut Bezirksverwaltung war ein Auslöser für das flächendeckende Programm die vielfach gähnende Leere auf den Schulfluren während der Elternabende. Auch die Tatsache, dass bei Gerichtsprozessen immer wieder Eltern von minderjährigen Angeklagten nicht erschienen, habe zum Umdenken geführt, erklärt Arnold Mengelkoch, der Migrationsbeauftragte des Bezirks.

In den Schulstationen sollen seit kurzem auch die sogenannten Stadtteilmütter Sprechstunden abhalten. Zur Erinnerung: Sie sind Buschkowskys Wunderwaffe beim Thema Integration. Das Erfolgsgeheimnis der Stadtteilmütter lautet Niedrigschwelligkeit. In der Praxis heißt das, man schickt jemanden zu den Familien nach Hause, statt zu warten, bis sie selbst eine soziale Einrichtung aufsuchen.

Die Bezirksbotschafterinnen stammen aus demselben Migrantenkreis und sprechen dieselbe Muttersprache wie die Familien, die sie aufsuchen. Türkisch, Arabisch und Kurdisch etwa, so wie die 115 derzeit aktiven Stadtteilmütter. Für das Pilotprojekt von 2006 bis 2008 erhielt Berlin im vergangenen Jahr den Metropolis Award, eine internationale Auszeichnung für die Verbesserung von Lebensqualität in Großstädten.

Doch Buschkowskys Wunderwaffe brachte Neukölln nicht nur internationales Renommee. Laut dem Evaluationsbericht zum Pilotprojekt, das dem Tagesspiegel vorliegt, ist es der Bezirksverwaltung damit gelungen, auch abgeschottet lebende Migrantenfamilien in das Bildungs- und Gesundheitssystem einzubinden. In den vergangenen zwei Jahren haben sie rund 1500 Familien besucht und Themen wie Erziehung, Ernährung oder Drogenprävention durchgenommen. Bis 2010 sollen es doppelt so viele Familien werden.

Der Bericht weist aber auch auf Schwierigkeiten in der Elternarbeit bei Migrantenfamilien hin. Viele Familien hätten Vorbehalte, die Damen mit der Aufklärungsmission in ihre Wohnung zu lassen. Manche Ehemänner empfinden die Hausbesuche als „störende Einmischung“, so das Papier weiter.

Vorbehalte ihr gegenüber kennt auch Arzu Bingöl, die selbst früher Hausbesuche erhielt und sich später zur Stadtteilmutter ausbilden ließ. „Manche Familien befürchten, dass wir vom Jugendamt kommen und ihre Wohnung ausspionieren wollen“, sagt die 35-Jährige. Andere Familien würden nicht wollen, dass ihre Nachbarn erfahren, dass sie Besuche von einer Stadtteilmutter empfangen. „Sie haben Angst, dass sich rumspricht, sie hätten familiäre Probleme.“ Doch inzwischen sei ihre Arbeit leichter geworden, betonen viele Stadtteilmütter. Es habe sich herumgesprochen, dass sie zum Teetrinken kommen und Informationen mitbringen, die den Frauen und ihren Familien guttun. „Uns öffnen sich immer mehr Türen“, sagt Bingöl.

Auch im Evaluationspapier ist von „ersten Hinweisen auf Verhaltensänderungen bei den Zielgruppen“ die Rede. Wie genau sie aussehen, steht nicht in dem Bericht. „Das ist auf die Schnelle schwer messbar“, sagt Migrationsbeauftragter Mengelkoch. Vor allem, weil Ziele wie „Ängste gegenüber Behörden abbauen und Vertrauen zu Bildungsangeboten schaffen“ schwer messbar seien.

Die Schulstation in der Boddin-Schule wurde erst vor kurzem offiziell eingeweiht. Zur kleinen Party kam neben arabischen, türkischen und deutschen Müttern auch die Polizistin Rotraut Wiedemann. Die Beamtin kommt hin und wieder als Gast ins Elterncafé. Sie ist für Verkehrssicherheit zuständig. Doch auch die hat bei manchen Migrantenfamilien mit den Eltern zu tun, erklärt sie. Etwa dann, wenn sie „ganz offen“ erklären müsse, dass beim Fahrradfahren nicht die Unschuld verloren geht. „Viele wollen ihre Töchter nicht radeln lassen, weil sie das befürchten“, sagt Wiedemann. Dabei macht das Radeln auch den Eltern Spaß, wie sie immer wieder bei ihrer Arbeit erlebt.

Ferda Ataman

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