zum Hauptinhalt

Berlin: Noch sind unter dem Berliner Dom die Restauratoren am Wirbeln - am Sonnabend müssen sie fertig sein

Der Stoff ist spröde und könnte bei der ersten falschen Bewegung reißen. Ein Wunder ist das nicht, denn das Gewebe ist über 200 Jahre alt.

Der Stoff ist spröde und könnte bei der ersten falschen Bewegung reißen. Ein Wunder ist das nicht, denn das Gewebe ist über 200 Jahre alt. Es umhüllt den Sarg Nummer 69 in der Hohenzollerngruft im Berliner Dom. Nummer 69 steht ganz hinten in einer Ecke der Gruft. Es ist laut Aufschrift der Kindersarg des Friedrich Paul Heinrich August, Sohn des Prinzen August Ferdinand von Preußen. Friedrich Paul hat nur wenige Tage gelebt. Er wurde am 29. November 1776 geboren und starb drei Tage später am 3. Dezember. Traurig, aber wirklich kein seltener Fall im 18. Jahrhundert mit seiner hohen Säuglingssterblichkeit.

Der dunkle Stoff umhüllt den kleinen Sarg. Oder besser: Er hat ihn umhüllt. "Als ich vor drei Tagen mit der Arbeit begann, hing alles in Fetzen herunter", sagt Brigitte Krüger. Die Textilrestauratorin leidet an diesem Montagvormittag zwar nicht an unerträglichem Stress. Aber beeilen muss sie sich schon: Am Sonnabend, dem 20. November, soll die Hohenzollerngruft feierlich eröffnet werden. Bis dahin wird noch viel zu tun sein. Frau Krüger näht gerade an der Bespannung aus Samt und Silbertressen. Dazu nimmt sie eine gebogene Nadel, wie sie auch von Chirurgen bei Operationen verwendet wird. Und das Ganze erinnert auch tatsächlich an eine Mischung aus Kunststopfen und Operieren. Die Frage hierbei: Was soll mit den Löchern in dem dunklen, uralten Samt geschehen. Brigitte Krüger hat Stoffstücke braun gefärbt, die sie jetzt in die Löcher schiebt und dort festnäht. "Mein Ziel ist, Teile nur dann abzunehmen, wenn es gar nicht anders geht. Die Schadstellen werden teilweise unterlegt", sagt die Fachfrau und näht ein Stück Silberlitze fest. Direkt neben ihrem Arbeitsplatz in der Gruft hat sie einen Scheinwerfer aufgestellt, der den Kindersarg in weißes Licht taucht. Frau Krüger ist zwar noch längst nicht zufrieden mit dem Ergebnis ihrer Bemühungen, aber der Sarg sieht inzwischen viel besser aus als letzte Woche.

Dombaumeister Rüdiger Hoth erlebt immer wieder Überraschungen. Insofern geht es ihm ähnlich wie Historikern, die neue Dokumente und Quellen finden, oder Archäologen, die im Boden auf Zeugnisse der Vergangenheit stoßen. Manchmal entsprechen neue Funde nicht der alten Theorie: Dann muss der Fund ans Licht und die Theorie in den Papierkorb. Dombaumeister Hoth hat zwar ein paar Probleme, etwa mit dem Umstand, dass beim Dombauverein weniger Spenden eingehen, als für die Arbeiten in der weitläufigen Kirche nötig wäre. Aber ein Problem hat Hoth wirklich nicht: Er hält sich nicht für allwissend. 94 Sarkophage und Särge stehen tief unter dem Dom in der Gruft. Bei einigen ist nicht klar, wem sie gehören. Das ist zum Beispiel Nr. 54. Geht man nach der Position des Podests, müsste an der Stelle der schwarze Sarkophag der Königin Elisabeth Christine (Gemahlin Friedrichs des Großen) stehen. Doch der Sarg auf dem Podest ist violett. "Der Inhalt ist unbekannt", sagt Rüdiger Hoth und hebt Augenbrauen und Arme. Auch bei Nummer 57 weiß Hoth nicht, wer dort ruht. Bislang glaubte man, es sei Wilhelmine, die Gemahlin des Hohenzollern-Prinzen Friedrich Heinrich Ludwig und Tochter des Prinzen Maximilian von Hessen-Kassel. Aber das steht jetzt in Frage. "Da müssen echte Spezialisten ran, sonst erfahren wir die Wahrheit nie", sagt der Dombaumeister und verweist auf die Geldknappheit. Geduld sei gefragt.

Rüdiger Hoth hat schon Schlimmeres erlebt. Er erinnert sich an das Jahr 1975, als die gesamte Hohenzollerngruft zugemauert wurde. "Die Bauarbeiter bauten eine Wand vor den Zugang, um zusätzliche Schäden beim Wiederaufbau zu verhindern", sagt Hoth. Stichwort Wiederaufbau: Bis heute sind 118 Millionen Mark für die Rekonstruktion des Gotteshauses aufgewandt worden, davon 110 Millionen aus staatlichen Töpfen und acht Millionen aus Spenden. Vor drei Jahren wurde die Wand abgerissen. Was dahinter zum Vorschein kam, beschreibt der oberste Dombauer lakonisch mit "Sargruinen". Zwei der 94 Särge stehen derzeit in der Werkstatt. Nach Hoths Worten müssen die Handwerker ihr ganzes Können aufwenden, um die Sarkophage zu restaurieren.

Wenige Tage vor der feierlichen Eröffnung sieht es in der Domkrypta freilich wieder ganz gut aus. Zahlreiche Sarkophage sind noch verhüllt, an anderen wird gearbeitet. Die Restauratorin Antonia Otto arbeitet am Sarg Nummer 58, in dem im Jahr 1758 der Prinz August Wilhelm zur ewigen Ruhe gebettet wurde. "Man nahm für die Verzierung ungemein wertvolles Silberbrokat", sagt Frau Otto, die vor der fast unlösbaren Aufgabe steht, 241 Jahre alten Brokat vor dem weiteren Zerfall zu bewahren. "Brokatsärge aus dem 18. Jahrundert sind sehr selten in Europa, man muss bis nach Madrid fahren, um weitere Beispiele zu sehen", sagt Antonia Otto. Aber warum nicht, dient der Aufwand doch einem Königsohn: August Wilhelm hatte den Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. zum Vater. Der Prinz starb übrigens mit nur 36 Jahren.

Die Hohenzollerngruft machte das Auf und Ab der Zeitläufte mit und wer sich die Zeit nimmt, kann in ihr lesen wie in einem großen Geschichtsbuch. Vollständig ist die Chronik aber nicht. Beispielsweise fehlt der Sarg des Soldatenkönigs. Nicht nur im Dombauverein gibt es Stimmen, die sich für eine "Familienzusammenführung" aussprechen. Motto: Der Soldatenkönig sollte aus Potsdam überführt werden, um im Dom bei der Familie ruhen. Ob die Potsdamer den König herausgeben würden, ist eine andere Geschichte.Tag des Offenen Domes am Sonnabend, 20. November. 10.30 Uhr Festakt. 12.15 Uhr Führung. Bis 17 Uhr Eintritt gratis.

Michael Brunner

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false