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Berlin: Nur nicht ausrutschen auf dem Parkett

Benimmkurse boomen, Stilbücher finden reißenden Absatz. Steigt leichter auf, wer sich benimmt? Pro & Contra: Brauchen wir bessere Umgangformen – also mehr Knigge?

Liegt das Hähnchen erstmal auf dem Teller, ist es zu spät. Dann kann man nur noch abwarten, wie es der Nachbar macht: Packt er den Schenkel mit den Fingern an, oder traktiert er ihn mit Messer und Gabel? Was aber, wenn der Nachbar der Chef ist und darauf wartet, dass man selbst als Erstes loslegt? Offenbar gibt es immer mehr Menschen, die sich für solche Situationen wappnen wollen: mit Etikette-Kursen und Stilberatern.

Buchhändler freuen sich über die Renaissance des „Knigge“: „In den letzten Wochen war die Nachfrage nach Benimmbüchern besonders groß“, sagt Gabriele Motter von Hugendubel am Tauentzien. Die allgemeinen Ratgeber liefen am besten, etwa „Unsere Umgangsformen“ von Gloria von Thurn und Taxis oder „Moderne Umgangsformen“ von Inge Wolff. „Letzteres haben wir in den letzten 14 Tagen so gründlich verkauft, das ist vergriffen.“ Neben den Allroundbibeln gibt es spezielle Knigge für alle Lebenslagen: fürs Restaurant genauso wie für die Auseinandersetzung mit Vorgesetzten, für das Einstellungsgespräch, die Partnersuche und das gesellschaftliche Parkett – und für alle Altersgruppen: den Benimmführer für „verzogene Kinder“ ebenso wie den für „späte Mädchen“, einen „Ratgeber für Übriggebliebene“.

Wer nicht gern liest, kann seine guten Sitten in einer Tanzschule aufpolieren. Man muss dafür nicht mit 15-Jährigen im Schülerkurs schwitzen. Jede zweite Tanzschule bietet neuerdings extra Etikette-Kurse an, vom mehrmonatigen „Anti-Blamierprogramm“ bis hin zum „Tanzschuljahr“. Am Ende gibt es das „Gesellschaftszertifikat“ – die schriftliche Bestätigung, dass man weiß, dass männliche Ritterlichkeit nach wie vor zählt, welche Kleidung man wann trägt, wie man stilvoll isst, sich und andere vorstellt, wann man rauchen darf. Aber auch, ob man eine Frau auch dann treppauf vorausgehen lässt, wenn sie einen kurzen Rock anhat. Etliche Schulen laden als externe Trainer ortsansässige Personalchefs ein und verleihen die Auszeichnung zusammen mit dem Bürgermeister.

Auch in den Schülerkursen ist Etikette wieder gefragt, als hätte es die 70er Jahre nie gegeben. „16-Jährige haben oft Sorge, sie könnten sich blamieren“, sagt Holger Pritzer, der Etikette-Papst des deutschen Tanzlehrerverbands. Vor die Wahl gestellt, ob sie lieber noch eine Cha-Cha-Figur lernen wollen oder Benimmtipps, würden sich Schüler heute für die Etikette entscheiden. Eine Lehrstelle oder einen Job zu finden, ist nicht mehr so leicht. Und wer einen hat, fällt nicht mehr so einfach die Karriereleiter hoch. Unsicherheit und der Versuch, neben dem Nachweis der Computerkenntnisse zusätzliche Punkte zu sammeln, seien ein Grund für den Trend, meint Pritzer.

„Bei uns gibt es keine festgeschriebene Etikette“, sagt Peter Maahn, Sprecher von Daimler-Chrysler in Berlin, „außer den ganz normalen zwischenmenschlichen Regeln wie Respekt, Höflichkeit, Teamfähigkeit“. Dazu braucht es vor allem Toleranz und Aufmerksamkeit. Wer die nicht aufbringt, dem werden wohl auch Benimmbücher oder Stilkurse kaum weiterhelfen.

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