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Das Berliner Bündnis für den Ganztag sieht die überstürzte Einführung des kostenlosen Schulessens kritisch.

© Doris Spiekermann-Klaas

Grundschulen in Berlin: Furcht vor übereilter Einführung des kostenlosen Schulessens

Zum Sommer soll an Berlins Grundschulen das kostenlose Mittagessen kommen. Verbände und Gewerkschafter fürchten eine Überforderung der Horte.

Seit Monaten wächst die Sorge in den Berliner Grundschulen, jetzt hat das Berliner Bündnis für die Qualität im Ganztag vor einer übereilten Einführung des kostenlosen Schulessens gewarnt. In einem offenen Brief an die Fraktionsvorsitzenden von Rot-Rot-Grün fordern die Protagonisten eine Abkehr vom Plan, bereits zum Sommer allen rund 175.000 Grundschülern das Essen entgeltfrei anzubieten.

Der Grund: Dies sei weder räumlich noch personell zu schaffen, weil durch die Kostenfreiheit „im Hauruckverfahren mehrere zehntausend zusätzliche Mittagesser“ auf die Schulen zukämen. Daher solle das Angebot nur sukzessive erfolgen. Anlass für den Vorstoß ist die für diesen Donnerstag geplante erste Lesung des entsprechenden „Schulessen-Gesetzes“.

In vielen Grundschulen reicht der Platz nicht aus, um mehr Kinder als bisher zu beköstigen: Die Kantinen sind nur für einen Bruchteil der Schüler ausgelegt. Aus allen Bezirken kommen die gleichen Signale: Niemand weiß, wie es bis zum Sommer möglich sein soll, die Hort- und Kantinenräume entsprechend auszubauen, zumal vielerorts der Platz noch nicht einmal reicht, um die Schüler zu unterrichten.

Um einen Überblick zu bekommen, hatte die Bildungsverwaltung angeblich eine Abfrage in den Bezirken gestartet. Ein Ergebnis wurde trotz mehrmaliger Tagesspiegel-Anfrage nicht mitgeteilt. Der Verband der Caterer rechnet wie berichtete mit einem Anstieg um 60 Prozent, die Bildungsverwaltung sprach im Januar von einem erwarteten 14-prozentigen Anstieg, nachdem die Koalition unerwartet im Dezember beschlossen hatte, dass das kostenlose Schulessen noch in den Nachtragshaushalt aufgenommen werden sollte.

Kinder müssten nach und nach essen - Folge: längere Unterbrechung für alle

Erschwerend kommt für die Schulen hinzu, dass der Hort für die Erst- und Zweitklässler künftig ohne Bedarfsprüfung und kostenlos zugänglich sein soll: Auch das wird den Platzbedarf und die Essensnachfrage steigern. Die Bildungsverwaltung hatte im Februar mitgeteilt, dass sie mit rund 9100 zusätzlichen Hortkindern in Klasse 1 und 2 rechnet – pro Schule also rund 30 Kinder. Damals hatten Neuköllner Erzieherinnen mittels eines offenen Briefes an Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) vor den räumlichen und personellen Konsequenzen eines unvorbereiteten unbeschränkten Hortzutritts gewarnt.

Längst warnen nicht nur die Erzieherinnen, sondern alle betroffenen Gruppen vor großen Nachteilen für alle – Schüler, Lehrer und Erzieher. So ist zu hören, dass manche Schulen ihre Mittagessenszeit in den Vormittag ausdehnen müssen, um alle Kinder nach und nach in den kleinen Kantinen beköstigen zu können. Dies könnte dazu führen, dass die knappen Erzieherinnen, die das Mittagessen betreuen müssen, anderweitig fehlen. Zudem verlagert sich der Unterricht mancherorts in den Nachmittag, wenn die Essenszeit ausgedehnt würde. In der Konsequenz könnte das die Schultage verlängern, heißt es.

„Kostenfreies Mittagessen für alle Grundschulkinder: Ja! Eine übereilte Einführung ohne die Beteiligung der Betroffenen: Nein“, lautet deshalb der Appell des Bündnisses. Es handele sich um einen „weiteren Beschluss der Koalition zur Kostenfreiheit der Ganztagsbetreuung, ohne gleichzeitig Investitionen in die Betreuungsqualität vorzunehmen“.

Noch eine Sorge: "Unendliche Mengen Essen werden weggeworfen"

Um ein „Überforderungschaos“ zu vermeiden, wird ein nur stufenweiser Übergang zum kostenlosen Mittagessen in Klasse 1 und 2 gefordert – analog zur dortigen Einführung der beitragsfreien Betreuung. Zudem müssten die Verantwortlichen vor Ort einbezogen werden und die „räumlichen und personellen Mindeststandards“ seien zu sichern: Mehr Personal innerhalb der Öffnungszeiten der Horte am Vormittag und am Nachmittag sei unverzichtbar. Inwieweit die Jugendverwaltung diese Einschätzung teilt, ist unklar. Klar ist allerdings, dass die Bildungsverwaltung mit einem Bedarf von rund 225 Erziehern rechnete, als sie vor einem Jahr von den Grünen nach den Konsequenzen des freien Hortzugangs gefragt wurde: Die Nachfrage könne im Hinblick auf die Betreuung am Nachmittag von 78 Prozent künftig möglicherweise auf 95 Prozent der Eltern steigen - und das würde automatisch die Essensnachfrage hochtreiben.

Zu den Protagonisten des Bündnisses für den Ganztag gehören etwa der Paritätische Wohlfahrtsverband, die GEW und der Grundschulverband. Dessen Vorsitzende Lydia Sebold ergänzte auf Anfrage, sie befürchte, dass die Entgeltfreiheit dazu führen wird, dass „unendliche Mengen Essen weggeworfen werden“.

Experten meldeten sich abends: Die Eile verwundert

Am späten Abend meldete sich auch der Dachverband der Kinder- und Schülerläden (DaKS) kritisch zu Wort: Zwar werde das Ziel, möglichst vielen Grundschulkindern auch ein warmes Mittagessen anzubieten, vom DaKS und den dort organisierten Hortträgern geteilt. Allerdings verwundere die Eile der Einführung, "und wir ärgern uns darüber, dass die Praxis vor Ort mit den daraus resultierenden Fragen weitgehend alleingelassen wird", heißt es in der Stellungnahme. Auf völliges Unverständnis stoße nicht nur beim DaKS, dass für die unterschiedslose Beitragsfreiheit "enorme Summen bereitgestellt werden, während es für die dringend notwendige und seit langem breit eingeforderte Verbesserung der Betreuungsqualität an den Berliner Ganztagsschulen leider weiterhin keine Mittel gibt".

Die Berliner Elternschaft hatte sich das kostenlose Schulessen gewünscht - allerdings unter anderen Bedingungen.

Zum offenen Brief des Bündnisses für den Ganztag geht es HIER.

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