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Berlin: „Ohne Waffen geht nichts mehr“ Ausländer und Kriminalität:

Was Jugendliche zum Thema sagen

Einfach nur Stille. Sekundenlang. Der Blick ist starr, die Hände hat Salim tief in die Lederjacke geschoben. Dann sagt Salim: „Hey, ich saß noch nie im Knast. Also, warum fragst du mich? Ich hab’ nie Stress mit der Polizei.“ Salim ist gereizt, es geht um junge Ausländer und Kriminalität. Es ist Freitagabend, kurz nach neun am Leopoldplatz. Auf der Müllerstraße rauschen Autos vorbei. Salim und sein Kumpel Marcel stehen im Regen. Salim sagt: „Weißt du, es nervt einfach, immer zu hören, dass Türken prügeln und Deutsche abziehen.“ Dann sagt er: Natürlich, er könne die Skepsis schon verstehen.

Vom Gefühl her kann er sich vorstellen, was Polizeipräsident Dieter Glietsch jetzt öffentlich gemacht hat: In Berlin werden Raub- und Körperverletzungsdelikte überproportional häufig von „jungen Männern aus Migrantenfamilien“ begangen. Das Fazit des obersten Polizisten Berlins: „Es wird geraubt, erpresst und genötigt, mit Schusswaffen und Messern.“ Als Salim diesen Satz hört, lächelt er wissend. „Und, woran liegt es? Was glaubst du?“ Ja, woran liegt es, dass Jugendliche aus Einwandererfamilien häufig zur Gewalt neigen? „Wir sind nicht anders als Deutsche“, sagt Salim, „aber warum werden wir anders behandelt?“ Als er neulich seinen Lehrer fragte, was er beim Berufsinformationszentrum eigentlich genau soll, da habe der Lehrer geantwortet: „Das frage ich mich bei dir auch.“ Salim geht auf eine Gesamtschule in Wedding, es gibt bessere Perspektiven auf einen Job. „Manchmal ist die ganze Scheiße einfach nur frustrierend“, sagt Salim. „Du hast einen deutschen Pass, wirst aber nicht als Deutscher respektiert. Du hast eine türkische Herkunft, wirst aber von den Älteren nicht als Türke gesehen. Wer bin ich denn nun?“ Und, ja, vielleicht holen sich ein, zwei Leute diesen Respekt auf ihre Art. Mit Gewalt. Aber was das bringt? „Nichts“.

Sven hat das neulich wieder gespürt. Sven ist 21, Sven ist Deutscher. Als er vor eineinhalb Monaten im „Schützenhof“, einer Diskothek in Spandau, war, da haben Araber seinen Kumpel zusammengeschlagen. Mit einer Holzlatte haben sie ihm zwei Mal den Kiefer gebrochen. Dann haben sie Svens Freund einfach im Gebüsch liegen lassen.

Sven und seine Freunde haben sich nicht getraut zurückzuschlagen. Was ist, wenn man irgendwann allein im Bus sitzt und die Araber wiedersieht? Sven hat Angst. Als die Polizei an jenem Abend eintraf, waren alle Täter verschwunden. Sven hat den Kumpel ins Krankenhaus geschickt. Mit einem Taxi. Sven sagt: „Viele Gewalttaten tauchen in Statistiken nicht auf.“ Er könne nicht beurteilen, ob Gewalttaten zugenommen haben. „Das Schlimme ist auf jeden Fall, dass es immer härter wird. Ohne Waffen geht nichts mehr.“

Ist es aus Langeweile? Ist es das Temperament? Marcel, ein Jugendlicher vom Leopoldplatz, sagt, dass er sich auf den Januar freut. Marcel spielt beim Weddinger Fußballverein SV Yesilyurt, „aber im Moment ist Winterpause, da müssen wir halt was anderes machen.“ Aber was? Marcel hat einen libanesischen Vater. In der Diskothek Dante am Hackeschen Markt würden Jugendliche aus Einwandererfamilien abgewiesen, sagt Marcel. Auch ins Ku’dorf kämen Gruppen von Ausländern nur schwer. Und nun sei es sogar bei den Studentenpartys in der Alten TU-Mensa schwierig geworden. „Also, sage mir, wo ich abends hingehen kann?“ Marcel hat den Freitagabend im Metro-Club in Friedrichshain verbracht, „wegen der Bauchtänzerin“. Integration sieht anders aus.

André Görke

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