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© David Heerde

Betrunkene Jugendliche: Unterwegs mit der Komasauf-Patrouille in Spandau

Sie "chillen" in Spandauer Parks und trinken Mixgetränke wie "Sternburg Diesel": Schon 1083 Jugendliche wurden dieses Jahr betrunken aufgegriffen - eine Herausforderung für Polizei und Jugendamt.

Das ist der Geschmack von Freiheit und Abenteuer: Da sitzt er ganz oben auf dem Spandauer Hahneberg auf einer Bank, links ein Mädchen, rechts ein Mädchen, zwischen den Beinen eine Flasche „Saurer Apfel“ und vor den Augen die Betonburgen entlang der Heerstraße. Die Abendsonne scheint auf sein freundliches Jungengesicht und freundlich begrüßt er den Polizisten mit dem Ziegenbart und der Basecap, der sich ihm in den Blick stellt: „Dich kenn’ ich doch!“

Entspannung ist angesagt hier in Spandau und anderswo, auf jungdeutsch: chillen. Die Ferien haben begonnen und damit die langen Nächte. Der Polizist mit acht silbernen Ringen an zehn Fingern heißt Stefan Dalchow und ist Präventionsbeauftragter der Polizei-Direktion 2. Er schlägt sich hier oft die Nacht um die Ohren, um die Spandauer Problemkinder und -jugendlichen zu erreichen, von denen es nicht wenige gibt. Einige Kollegen sind mit bei dieser „gemeinsamen Jugendschutzkontrolle“ – Polizistinnen in Zivil, ein Fachmann für die Intensivtäter aus der Gegend, ein Mann vom Ordnungsamt und zwei Mitarbeiter des Jugendamts, Detlev Strauch und Klaus Sareika.

Die beiden Mädels sind noch keine sechzehn, deshalb empfiehlt Polizist Dalchow dem Jungen mit dem pinken T-Shirt und den bunten Haaren, ihnen nichts von seinem Entspannungsgetränk abzugeben. „Neeeeee“, versichert der, „weiß ich doch – die dürfen noch nicht.“

Dalchow ist bestens bekannt in der Spandauer Jugend, die sich an Abenden wie diesen mit Sekt, möglichst bunten Alkoholgemischen und „Sternburg Diesel“ in den Parks trifft. Sie mögen und sie respektieren ihn – das merkt man am Ton. 940 Personen haben Dalchow, Strauch und Kollegen in diesem Jahr bei ihren monatlichen Patrouillen kontrolliert. 26 betrunkene Jugendliche haben sie angetroffen, fünf waren so abgefüllt, dass sie nach Hause oder ins Krankenhaus gebracht wurden. Dalchow und Andrea Tosuner, Präventionsfachfrau von einem anderen Spandauer Polizeiabschnitt, sind sich einig, dass in Sachen Alkohol etwas außer Kontrolle geraten ist.

Klar habe er als Jugendlicher auch gefeiert – „aber dieses ständige Rumlaufen mit der Flasche“ – das gab es nicht, sagt Dalchow. Heute ist die Bierflasche auch tagsüber längst ein öffentlicher Ausstattungsgegenstand in Spandau, Neukölln und Friedrichshain. Im vergangenen Jahr hat die Berliner Polizei 1200 alkoholisierte Kinder und Jugendliche aufgegriffen, im ersten Halbjahr 2009 waren es schon 1083. Kaum ein Wochenende ohne die einschlägigen Meldungen von Kindern, die bewusstlos auf dem Gehweg liegen, Mädchen und Jungs, die mit hohen Promillewerten irgendwo herumtorkeln. Von Januar bis Mai dieses Jahres waren es monatlich zwischen 53 und 232 betrunkene Kinder und Jugendliche, um die sich die Polizisten kümmern mussten, Tendenz: jahreszeitlich bedingt steigend. Mit dem Sommer kommen die Parties auf den Badewiesen. Am Schlachtensee ging es 2008 so hoch her, dass 50 Polizisten die Wiese nach Schlägereien räumten. An einer Kladower Badestelle attackierten betrunkene Jugendliche die Sanitäter eines Rettungswagens, als sie dem Opfer einer Prügelei helfen wollten.

Die Leute vom Spandauer Jugendamt wissen von Jungs, die mit ihren Vätern zu Hause zechen und von Koma-Drogenfreaks, die den Alkohol- mit einem Kifferrausch ergänzen. Wenn so ein Junge oder Mädchen auffällt, schreibt das Jugendamt den Eltern und bietet ihnen Beratung an. Die Ablehnungsquote liege bei 99 Prozent, sagt Klaus Sareika vom Jugendamt. „Das Einzige, was hilft, ist die direkte Ansprache“ – umgehend, solange noch ein bisschen Schuldbewusstsein da ist.

Warum viele junge Frauen und Männer das Dauerbedröhntsein so mögen, wissen Dalchow, Sareika, Tosuner auch nicht. Sie wissen aber von diesem Gefühl vieler junger Leute, dass sich keiner wirklich für sie interessiert, schon gar nicht die Eltern. Ihre Einsichten in das moderne Nichtverhältnis zwischen Eltern und halb erwachsenen Kindern sind trist: „Die haben gar keinen mehr, der sich mit ihnen unterhält“, sagt Strauch. Die Polizisten erzählen von angetrunkenen Mädchen, die sie bei einer Jugendschutzkontrolle mit auf die Wache genommen haben – Mama war aber nicht bereit, sie abzuholen. Bringt man sie also nach Hause, als Polizist? Man bringt sie nach Hause.

Das Jugendamt ist – anders als früher, als jeder für sich unterwegs war – mit dabei; Strauch und Sareika können sich so einen Eindruck verschaffen und auf Eltern zugehen. Wo endet Prävention – wo muss die verschärfte Ansage beginnen? Von der Politik erwarten die Polizisten und Jugendamtsleute keine Antwort, sie müssen sie selbst geben.

Später am Abend geht es noch mal hoch auf den Hahneberg: Dort soll ab 22 Uhr eine Party stattfinden. Sareika scherzt beim Aufstieg, deshalb also heiße es Jugendarbeit – weil man mit jungen Beinen besser dort hochkommt. Zwei Dutzend halbwüchsige Jungs stehen herum, rauchen, grölen, telefonieren, machen sich gegenseitig an – alles harmlos. Einer will ein Foto mit „Ziegenbart“ Dalchow. Der hat nichts dagegen – schließlich hat der Fotofreund sogar gefragt.

Das Komasaufen ist nur der Endpunkt jugendlichen Umgangs mit Alkohol, der mittelalte Leute wie Dalchow, seine Präventionskollegin Tosuner oder den Jugendamtsmann Strauch eher ratlos als nur nachdenklich macht. Ratlos macht sie der gewollte Exzess – die Absicht, bis zur Bewusstlosigkeit Alkohol in sich hineinzukippen. Deswegen hat Strauch vor anderthalb Jahren die erste gemeinsame Jugendschutzkontrolle organisiert, deswegen sind sie im Winter in Kneipen, Shisha-Bars und Einkaufszentren unterwegs, nehmen sich Spätverkaufs- und Supermarktverkäufer vor, die sich nicht an das Jugendschutzgesetz halten.

Im Sommer sind sie auf dem Hahneberg, in der Gegend um den Kiesteich im Spandauer Norden, wo der Pitbull ohne Maulkorb zur Folklore gehört, in den öffentlichen Grünanlagen am Bahnhof. Sie fragen freundlich nach Alter und Ausweis, sie beginnen Gespräche darüber, wie es so läuft und gehen wieder, mit einer Bemerkung wie „Übertreib’ es nicht!“. Dabei bleibt es, so lange die Jugend nett auf die Ansprache reagiert wie der erwachsene Jungmann auf dem Hahneberg, der Dalchow jetzt verspricht, seinen beiden Begleiterinnen von dem pinkfarbenen Wodka-sonstwas-Gemisch nichts abzugeben, das er bei sich hat: „Sauf’ ich allein“, versichert er lachend.

In Kladow, am Ostufer des Groß Glienicker Sees, ist die junge Partygemeinde nicht ganz so nett. „Den ganzen Tag“ müsse man seinen Ausweis zeigen, höhnt ein Jungmann, als die Polizei anrückt. Es geht auf Mitternacht zu, der Jungmann ist über 16 und darf, wie die meisten hier, öffentlich sein Bier trinken. Nicht weit vom Feuer, das nun leider auf polizeiliche Anordnung gelöscht werden muss, kauert einer auf den Knien, der hier Kevin heißen soll. Er hat Probleme mit dem Aufstehen, bekommt aber seinen Ausweis noch aus der Tasche gefummelt. Keiner um ihn herum hat mitbekommen, dass Kevin längst nicht mehr ganz bei sich ist.

Ein Mädchen kommt heran und erzählt Dalchow und dem Fachmann für die Intensivtäter, „das Problem“ habe Kevin schon am Wochenende zuvor gehabt: „Er weiß nicht, wo seine Grenzen sind.“ Weil Kevin noch sprechen und auch testweise aufstehen kann, ziehen die Polizisten einen Anruf beim Vater dem Alarmieren des Rettungswagens vor. Was aber, fragen sie sich, wenn Kevin im Suff schwimmen gegangen wäre? Kevins Vater kommt und fragt gleich: „Hat er was angestellt?“ Dann rücken er, der Sohn und dessen Stützen links und rechts ab in Richtung Neubaugebiet. Jugend und Alk – das ziehe sich durch alle Schichten, sagt Andrea Tosuner. Während sich Dalchow und Kollegen noch versichern, mit dem Verzicht auf eine Rettungswagen-Großaktion die gute Tat des Tages vollbracht zu haben, schlingern fünf Jungmänner in Richtung Badestelle, einer lauter als der andere. Sie zeigen auf Verlangen ihre Ausweise, erklären mit deutlichen alkoholbedingten Artikulationsproblem ihre vollständige Harmlosigkeit und ihr Feierbedürfnis, werden dabei immer lauter und aggressiver – und handeln sich von der Polizei einen Platzverweis ein: Ab nach Hause, oder es gibt eine Anzeige. Der Übergang von der Prävention zur Repression kann sehr schnell gehen.

„Nehmt den nächsten Bus nach Spandau, die Leute hier wollen morgen arbeiten und jetzt schlafen“, sagt der Intensivtäter-Fachmann. Einer pöbelt, die anderen zerren ihn mit zum Ritterfelddamm. Andrea Tosuner sagt: „Der arme Busfahrer.“

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