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''No-Go-Orte'': Braucht Berlin einen Kriminalitätsatlas?

Der Berliner Polizeipräsident möchte zusammen mit Bezirksbürgermeistern ab dem kommenden Jahr einen Atlas herausgeben, der die regionale Verteilung von Straftaten anzeigt. Wissenschaftler halten das jedoch für den falschen Ansatz.

Wie gefährlich ist Berlin? Und wie gefährlich ist meine Nachbarschaft? Immer wieder haben Umfrageinstitute oder Medien versucht, diese Frage für die Berliner Bevölkerung zu beantworten. Meist bedienten sie sich wenig repräsentativer und viel zu kleiner Umfragen. Dabei wurde etwa danach gefragt, wie gefährlich man seine Nachbarschaft einschätzt oder ob man selbst Opfer einer Straftat geworden ist. Auch die Berliner Polizei hat im Januar 2004 eine sogenannte "Problemkiezanalyse" herausgegeben.

Bei Bezirkspolitikern war diese Analyse der Polizei stets umstritten. Sie befürchteten Stigmatisierungen in den Kiezen. Also verbannte die Polizei den Begriff "Problemkiez" schnell aus ihrem Sprachgebrauch, der Polizeipräsident Dieter Glietsch verurteilte in der Folge die Umfrage-Atlanten scharf. Offenbar als Reaktion auf den neuesten "Angst-Atlas" einer Berliner Boulevardzeitung hat sich Glietsch nun doch dazu entschieden, im kommenden Jahr einen eigenen zu veröffentlichen.

Bezirksbürgermeister wollen den Atlas

In dem Atlas sollen die angezeigten Straftaten, wie sie auch schon in der Kriminalitätsstatistik auftauchen, auf eine Karte heruntergebrochen werden. Glietsch möchte damit dem Bedürfnis der Öffentlichkeit nach Information nachkommen. Die Bürger sollen "seriös und aussagekräftig" über die Kriminalität in ihren Kiezen unterrichtet werden.

Ein Sprecher der Gewerkschaft der Polizei hält einen solchen Atlas für durchaus sinnvoll. Anhand der Daten könnten Präventionsmaßnahmen gerade im Bereich der Jugendkriminalität gesteuert werden. So habe die Gewerkschaft schon lange vor dem Polizeipräsidenten für die Einführung eines solchen Atlases geworben - und das mit Erfolg. Mehrere Bezirksbürgermeister, unter ihnen Marlies Wanjura (Reinickendorf), Konrad Birkholz (Spandau) oder Christian Hanke (Mitte) befürworten den Atlas und sprechen sich mitunter dafür aus, die "Kriminalitätsbelastung" eines jeden Straßenzuges anzuzeigen.

Stadtforscherin Martina Löw zweifelt daran, dass es mit Hilfe eines Atlases möglich wäre, die Vielschichtigkeit dieses Problems zu erfassen. Diese Vorgehensweise lege die Auffassung nahe, dass das Problem Kriminalität am Raum hafte, urteilt die Soziologie-Professorin an der TU-Darmstadt. Zudem könne der Atlas Wahrnehmungen steuern und damit Investitionen verhindern und Stigmatisierungen fördern.

Ein Atlas verschiebt das Problem nur

Genau das befürchtet auch Hartmut Häußermann, Professor für Stadtsoziologie an der Humboldt Universität in Berlin: "Bestenfalls würde das Problem von einem Ort zum nächsten verlagert, nicht jedoch beseitigt." Darüberhinaus gibt er zu bedenken, dass in dem neuen Stadtplan lediglich die Anzeigen, die bei der Polizei eingehen, verwertet werden würden. So würde ein Ort als besonders gefährlich gelten, an dem sich viele Touristen aufhielten. In deren Umfeld ist nämlich die Anzahl der Diebstähle erheblich höher. Viele Delikte spielen sich innerhalb eines geschlossenen sozialen Milieus ab, wovon andere dort lebende Personen oft nicht betroffen sind.

Außerdem gebe es eine Wechselbeziehung zwischen der Bereitschaft, eine Anzeige zu machen, mit der "gefühlten Kriminalität", der die anzeigende Person ausgesetzt ist. "Gefühlte Kriminalität ist immer höher als die tatsächliche", auch sei sie bei Frauen oder älteren Menschen erheblich stärker ausgeprägt als bei anderen, sagt Häußermann. Und sie könnte durch das Bewusstsein, in einem "Problemkiez" zu wohnen, durchaus verstärkt werden. Durch einen Atlas, der scheinbar objektiv ausweist, dass man in einem Problemviertel wohnt, verstärkt diese Tendenz. Daraus entsteht ein Teufelskreis.

Einen Kriminalitätsstadtplan hält der Professor für den "faschen Ansatz". Vielmehr müsste mit den Bewohnern vor Ort gesprochen und eine Lösungsstrategie erarbeitet werden. Trotz allem gebe es jedoch auch in Berlin durchaus Orte, die etwa für Migranten "no go" sind. Und darauf müsse auch hingewiesen werden.

Michael Stürzenhofecker

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