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Extremismus-Experte: „Die Anschläge werden noch Monate weitergehen“

Der Politikwissenschaftler Hans-Gerd Jaschke über die Welle der linksautonomen Gewalt.

Wie erklären Sie sich die Zunahme politisch verbrämter Anschläge?

Wenn eine interne Dynamik der Gewalt einsetzt, dauert sie eine Zeit lang an. Dass wir diese Welle erleben, liegt auch daran, wie Politik, Gesellschaft, Medien, Sicherheitsbehörden reagieren. Mein Eindruck ist, dass die Sympathien in der Bevölkerung für diese Anschläge beachtlicher sind, als viele von uns das glauben mögen.

Woran machen Sie das fest?

Das liegt daran, dass die Stadtpolitik mit der Frage des öffentlichen Raumes – Stichwort Tempelhof, Stichwort Luxusmodernisierungen – nicht angemessen umgeht. Die Bevölkerung wird nicht mitgenommen, die Politik stellt sich zu wenig solchen Debatten.

Und in das Vakuum stoßen dann gewaltbereite Autonome?

Ja. Die mit Luxussanierungen verbundene Vertreibung von Bewohnern aus Innenstadtvierteln ist ein Faktum – aber von der Politik ist nichts davon zu hören, wie die Folgen der Entwicklung sozialverträglich bewerkstelligt werden sollen.

Wie lange wird uns die Gewalt, die in den vergangenen Monaten drastisch zugenommen hat, noch beschäftigen?

Die gewalttätigen Anschläge werden wohl noch einige Monate weitergehen. Die weitere Entwicklung hängt auch davon ab, was in der Szene intern passiert. Sie arbeitet sehr dezentral, ist in sich zerstritten. Die Szene ist ja sehr heterogen und kommuniziert oft kaum untereinander: Da gibt es gewaltbereite Jugendliche, ideologische fixierte Täter, aber auch ältere „Berufsrevolutionäre“. Die Frage, was sie zusammenhält und was sie trennt, hängt entscheidend von der Reaktion auf die Anschläge ab.

Wie schätzen Sie die Reaktion von Politik und Sicherheitsbehörden bisher ein?

Als nicht ausreichend. Die Täter werden nur als Straftäter wahrgenommen. Das sind sie zweifellos. Aber sie setzen auch Fanale – Zeichen, dass in der Stadtentwicklung etwas nicht stimmt. Das wird von der Politik übersehen.

Wertet man nicht dadurch kriminelle Gewalttäter auf, dass man ihr politisches Anliegen ernster nimmt?

Nein, man muss zweigleisig verfahren: Strafverfolgung steht außer Zweifel. Aber hinzukommen muss eine Debatte über den öffentlichen Raum. Das hat das Beispiel Tempelhof gezeigt: Wieso hat man nicht das Gelände geöffnet, ein Fest veranstaltet und die Bevölkerung willkommen geheißen? In Berlin ist das Aussperren und das Vertreiben von Menschen aus sozialen Räumen eine hochgefährliche Angelegenheit – und die Politik reduziert das Problem auf Straftaten.

Sie schulen künftige Polizisten. Wie werden die auf den Umgang mit linksextremistischen Autonomen vorbereitet?

Der Nachwuchs geht gut vorbereitet in die Praxis, auch durch Seminare und Veranstaltungen zu politischem Extremismus. Aber die Polizei kann das Problem der Folgen von Stadtentwicklung und Gentrifizierung nicht alleine lösen.

Sie meinen, dass die autonome Gewaltwelle der vergangenen Wochen eher eine Aufgabe für die Stadtentwicklungssenatorin als für den Innensenator sein sollte?

Ich habe von der Stadtentwicklungssenatorin zu dieser Problematik zumindest bislang sehr wenig gehört.

Wie geht es weiter: Steht uns ein heißer Sommer mit weiteren Anschlägen bevor – oder wird die Gewalt von selber abebben?

Alle Erfahrungen mit sozialen Bewegungen zeigen, dass es Konjunkturen gibt. Ich befürchte, dass die Berliner Politik sich darauf verlässt, dass die Bewegung von selber abebbt. Das wird wohl auch so kommen. Dennoch hoffe ich, dass die Politik endlich die zugrundeliegenden Probleme aufgreift.

Würde sich die Szene dann nicht ein anderes Thema suchen, über das man mit Gewalt gegen den Staat angehen kann?

Soziale Bewegungen sind immer Ein- Thema-Bewegungen, von der Startbahn-West in Frankfurt bis zu den Atomkraftwerken. Wenn die Gesellschaft es schafft, dieses Thema aufzugreifen und befriedigend zu lösen, nimmt man der gewaltbereiten Szene ihr Thema weg – das würde sie schwächen.

Das Interview führte Lars von Törne.

Hans-Gerd Jaschke ist Professor für Politikwissenschaft. Der Experte für politischen Extremismus unterrichtet an der Hochschule für Wirtschaft und Recht unter anderem angehende Polizisten.

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