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Berlin: Polizei klagt: Justiz lässt Schwerverbrecher laufen

In einem Brief an die Innenverwaltung beschwert sich das Landeskriminalamt über zehn krasse Fälle mit Bewährung oder Haftverschonung

Die Justiz lässt häufig Schwerverbrecher laufen. Darüber beklagt sich das Landeskriminalamt (LKA) Berlin in einem Brief an die Innenverwaltung. Darin werden zehn Fälle exemplarisch aufgeführt. In einem besonders krassen Fall geriet sogar der „Kronzeuge“ der Polizei dadurch in Lebensgefahr. Durch seine Aussage konnte zwar ein polizeibekannter Dealer und Waffenhändler festgenommen werden. Aber die Justiz ließ den Libanesen laut Polizei nach seiner Verurteilung (drei Jahre neun Monate Haft) wieder laufen – ohne die Polizei zu informieren. Die erfuhr erst aus der Szene, dass der Mann wieder auf freiem Fuß war und konnte den Informanten vor Racheakten schützen. Die Justiz wies gestern die Vorwürfe zurück.

„Wir nehmen die Täter nach langwierigen Ermittlungen fest und ruckzuck sind sie wieder draußen“, kritisierte ein Ermittler. Die Polizeiführung wollte sich zu dem Mitte Dezember geschriebenen Brief nicht äußern: „Wir als Polizei befinden uns in einem Abstimmungsprozess mit dem Senat und der Justiz, und der dauert noch an“, sagte eine Polizeisprecherin.

In dem vom stellvertretenden Leiter des LKA Berlin, Heinz Jankowiak, unterzeichneten Brief heißt es unter anderem: „Diese Art der Vollstreckung von Freiheitsstrafen dürfte ( . . .) nicht geeignet sein, generalpräventive Effekte durch eine Verurteilung wirksam werden zu lassen“. Aufgeführt ist unter anderem der Fall eines Türstehers, der im Februar 2001 wegen Kokainhandels im zweistelligen Kilobereich zu sechs Jahren sechs Monaten Haft verurteilt worden war. Aber gleich nach dem Urteil wurde der jetzt 36-jährige Mann auf freien Fuß gesetzt. Erst eineinhalb Jahre später wurde er zum Haftantritt aufgefordert. Zwar ging er freiwillig ins Gefängnis, aber er hätte die Zeit in Freiheit ebenso nutzen können, um weitere Straftaten zu verüben, kritisierte die Polizei. Unverständlich für die Ermittler ist auch das Urteil gegen zwei Angehörige einer arabischen Großfamilie. Sie schlugen dem Schreiben der Kripo zufolge einen arabischen Immobilienmakler zum Krüppel und erhielten dafür 24 und 17 Monaten Haft. Obwohl die Täter einschlägig vorbestraft waren, wurden sie nur zu Bewährungstrafen verurteilt.

Ein Türsteher wurde zwei Mal wegen Drogenhandels verurteilt und jedes Mal wieder laufen gelassen. Er wurde erst im April 2003 wieder festgenommen. Die Polizei nennt die Vollstreckungsentscheidungen „nicht nachzuvollziehen". Wegen Drogenhandels und versuchter räuberischer Erpressung wurde Ende April 2003 ein jetzt 32-jähriger Mann zu fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Er hatte bis dahin 20 Monate in U-Haft verbracht, mit dem Urteil wurde er freigelassen. Das Kammergericht korrigierte diese Entscheidung zwei Wochen später.

Der Angehörige eines als gewalttätig bekannten libanesisch-kurdischen Clans wurde nach einem Mammutverfahren und 14 Monaten U-Haft im Novemver 2002 zu sieben Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Am selben Tag beschloss das Gericht, den Mann und mehrere seiner mitverurteilten Clan-Angehörigen gegen Meldeauflagen freizulassen. Strafantritt sollte gegen Weihnachten sein; nach Polizeiangaben ist das bis heute nicht geschehen. Stattdessen geriet der Clan in der Silvesternacht in einen gewaltsamen Streit, der wenige Täge später in einem Tötungsversuch gipfelte.

Der Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Eberhard Schönberg sagte: „Die Kriminellen feiern eine solche Verfahrensweise als einen Sieg über den Rechtsstaat.“

In der Justizverwaltung ist das Schreiben mit den Beispielen unbekannt: „Es ist uns nicht zugeleitet worden“, sagte Justizsprecherin Andrea Boehnke. Bei der Mehrzahl der aufgeführten Fälle handele es sich aber um richterliche Entscheidungen, auf die die Justizverwaltung keinen Einfluss nehmen könne.

Die Senatsinnenverwaltung hielt es nicht für nötig, die Justiz darüber zu informieren: „Es sind aus unserer Sicht alte Fälle“, sagte der Sprecher der Innenverwaltung, Peter Fleischmann. Die Fälle sollen demnächst in der Kooperationsgruppe zwischen LKA und Staatsanwaltschaft besprochen werden. Diese Gruppe war gegründet worden, nachdem es im vergangenen Jahr bereits einmal Streit zwischen Polizei und Justiz gegeben hatte. Damals ging es um vorwiegend jugendliche Intensivtäter, die trotz zahlreich begangener Straftaten immer wieder auf freien Fuß kamen.

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