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Um sich bei Großeinsätzen einen Überblick zu verschaffen, will die Polizei große Versammlungen filmen. Das Gesetz dazu ist rechtlich und politisch umstritten.

© picture alliance / dpa

Update

"Polizeiführer-Fernsehen": Rot-Schwarz beschließt Gesetz über Demo-Videoaufnahmen

Vor drei Jahren wurden Videoaufnahmen auf Demonstrationen durch die Polizei gestoppt, der Grund: nicht verfassungskonform. Jetzt haben SPD und CDU einen neuen Gesetzesentwurf beschlossen - doch die Verfassungsfrage bleibt.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

SPD und CDU hatten es eilig. Mit sorgenvollem Blick auf den 1. Mai hat die Koalition am Donnerstagabend im Abgeordnetenhaus ein Gesetz beschlossen, das der Polizei sogenannte „Übersichtsaufnahmen zur Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes bei Versammlungen unter freiem Himmel“ erlaubt. Bis Juli 2010 wurden auch ohne diese Rechtsgrundlage polizeiliche Videoaufnahmen von Demonstrationen in die Leitzentrale übertragen. Im internen Jargon nennt sich das: „Polizeiführer-Fernsehen“. Vor gut drei Jahren stoppte das Berliner Verwaltungsgericht dieses Vorgehen.

Zweck der Übung war es, und soll es nun wieder sein, dass sich die Polizei von großen und unübersichtlichen Versammlungen mit Hilfe von Kameras ein umfassendes Lagebild verschafft, um schnell und effektiv reagieren und eine zuverlässige Gefahrenprognose erstellen zu können. Bei solchen Übersichtsaufnahmen wird die Demonstration von einem Hubschrauber, einer Mini-Drohne oder vom Dach eines Kamerawagens in Weitwinkeleinstellung gefilmt. Laut neuem Gesetz geschieht das offen, für jeden Beteiligten erkennbar. Gezoomt werden darf nicht. Die Videoaufnahmen müssen sofort ausgewertet und dürfen nicht aufgezeichnet werden. Trotzdem wird jeder Demo-Teilnehmer kurzzeitig erfasst. Und jeder Demonstrant sieht, dass er im Fokus einer polizeilichen Kamera steht.

Fachleute und Gerichte sind sich einig, dass solche Übersichtsaufnahmen in die Grundrechte der Bürger eingreifen. Mit dieser Einschätzung sind viele spannende Fragen verknüpft, die nicht nur Juristen interessieren. Denn jede Videoaufnahme durch die Polizei hat auf die Teilnehmer einer Kundgebung eine potenziell abschreckende, einschüchternde Wirkung. Das berührt den Grundsatz der inneren Versammlungsfreiheit. Außerdem können die Demonstranten nicht erkennen, warum die Polizei gerade filmt. Weil sie sich nur einen Überblick über die Lage verschaffen will? Oder weil sie Störer oder gar Straftäter identifizieren will? In letzterem Fall darf die Videoaufnahme nämlich aufgezeichnet werden. Was gerade wirklich passiert, steht an der Videokamera nicht dran. Die jeweilige Entscheidung der Polizei, wann und aus welchem Grund sie filmt, mag in der Regel richtig und legal sein, ist aber für Außenstehende kaum kontrollierbar.

Bei einer Anhörung des Innenausschusses im März im Abgeordnetenhaus warfen eingeladene Rechtsexperten solche Fragen auf. Und sie kritisierten, dass der ursprüngliche Gesetzentwurf der Koalition nicht verfassungskonform sei. Das liegt vor allem daran, dass Berlin bisher kein eigenes Landesversammlungsgesetz hat. In der Hauptstadt gilt also weiterhin das Bundesrecht, wenn es um Kundgebungen und Demos geht. Deshalb darf das neue Gesetz für Übersichtsaufnahmen nicht Teile des Bundesversammlungsgesetzes ersetzen.

SPD und CDU reagierten auf diese Kritik, indem sie am Montag ein verändertes Gesetz vorlegten, das am Donnerstag eilig vom Landesparlament beschlossen wurde. Ob das Gesetz verfassungsgemäß ist, darüber sind sich Juristen und Politiker nicht einig. Wie berichtet, haben Grüne, Linke und Piraten angekündigt, das neue Landesrecht für Übersichtsaufnahmen vom Verfassungsgericht prüfen zu lassen. Bis dahin gilt das Gesetz aber vorerst.

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