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Heiner Geißler sollte die Siegessäule stehen lassen, findet Wolfgang Wieland

© dpa

Position: Die Siegessäule abreißen? Sicherlich nicht, Herr Geißler!

Berlin besitzt viele architektonische Zeugnisse seiner undemokratischen Vergangenheit. Nicht alles davon sollte man eliminieren, meint Wolfgang Wieland. Eine Replik auf Heiner Geißler.

Das ist immer wieder ein Phänomen. Manche werden erst als Rentner so richtig radikal. Jüngstes Beispiel: Heiner Geißler. Dass die Siegessäule, das „dümmste Monument der Republik“, immer noch in Berlins Mitte steht, sei ein Skandal, schrieb er am 1. Februar im Tagesspiegel. Diesen Skandal verdanken wir „rechtskonservativem und deutschnationalem“ Gedankengut. Sonst vor allem bei Glatzen und NPD anzutreffen, hier bei den Verantwortlichen dieser Stadt.

Wumms! Das sitzt. Leider schreibt Geißler nicht, ob er die Siegessäule gleich sprengen will wie Ulbricht einst das Schloss oder sie nur an den Müggelsee translozieren wie weiland Diepgen den Good-bye-Lenin.

Aber waren wir nicht alle blind gegenüber diesem Symbol des Militarismus? Der CDU-Kulturpolitiker Lehmann-Brauns, der sich jahrelang für die Anbringung der bluttriefenden Reliefs einsetzte? Der Ex-General Jörg Schönbohm, der von der Gold-Else aus eine Parade abnahm, die Love-Parade? Die ganze Schwulenbewegung, die ihr Zentralorgan Siegessäule nennt? Kollektive Scham scheint angebracht. Denn der Pazifismus, der laut Geißler im 20. Jahrhundert zu Auschwitz führte, im 19. Jahrhundert wäre er ganz offensichtlich angebracht gewesen.

Und danach lenken wir Geißlers Furor in Richtung seiner eigenen Partei. Ist es nicht die CDU, die seit Jahren die Umbenennung der Treitschkestraße, die nach einem erklärten Judenhasser benannt ist, verhindert? Und warum hat sich die CDU nicht für die Streichung Hindenburgs aus der Berliner Ehrenbürgerliste starkgemacht? Da war sie Seite an Seite mit dem Historiker Walter Momper, der dem Retter Ostpreußens aus heutiger Sicht keine Verfehlungen bei der Unterstützung der Machtergreifung der Nationalsozialisten anlasten wollte.

Berlin hat als preußische Hauptstadt und insbesondere als Zentrum zweier Diktaturen des 20. Jahrhunderts ein Übermaß an Zeugnissen von undemokratischer oder diktatorischer Vergangenheit. Sie sind nicht alle gleich zu bewerten, aber deshalb nur ein kurzer Streifzug: Da ist das sogenannte Afrikanische Viertel im Wedding mit den Straßennamen, die völlig unkritisch an die deutsche Kolonialgeschichte erinnern oder jene Heldenverehrung im Tempelhofer Fliegerviertel. Das Berliner Straßenbild ist immer noch von zahlreichen Relikten nationalsozialistischer Bau- und Gestaltungsweise geprägt, da nehme man nur als berühmtestes Beispiel das Olympiastadion mit seinen Arno-Breker-Skulpturen.

Alles eliminieren? Sicherlich nicht. Aber aktive Erinnerungspolitik bedeutet auch, dass veränderte Sichtweisen auf historische Ereignisse oder Persönlichkeiten heute einen Platz in der Stadt finden. Die Stolpersteine, die an deportierte jüdische Menschen erinnern, sind ein besonders beachtenswertes Beispiel. Und eine Erinnerung an den von Rechtsextremisten ermordeten ersten Finanzminister der Weimarer Republik, Matthias Erzberger, ist tatsächlich überfällig. Da, und nur da, hat Heiner Geißler recht. Sicher weiß er nicht, dass die Entscheidung über Straßennamen in Berlin bei den Bezirken liegt. Dies ist auch so wenig ein Hinderungsgrund wie der Umstand, dass etliche Bezirke nur noch Frauennamen vergeben. Schließlich waren die Opfer des rechtsextremen Terrors damals so wenig quotiert wie heute.

Der Autor war Berliner Justizsenator und ist Bundestagsabgeordneter der Fraktion Bündnis 90/Grüne.

Wolfgang Wieland

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