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Potsdamer Platz: Den Todesstreifen im Blick

Am Potsdamer Platz soll ein alter Grenzturm zum Multimedia-Erinnerungszentrum werden.

„So hässlich – und doch ein Schmuckstück!“, sagt Jörg Moser und blickt nach oben. In zwölf Metern Höhe thront eine graue Kanzel mit Sehschlitzen auf einer Betonröhre, die aussieht wie zwei übereinandergestellte Litfaßsäulen. Innen führen Leitern hinauf zur Plattform. Dort war der Platz der Grenzwächter zu Mauerzeiten: Ende der sechziger Jahre ist dieser Rundblick-Turm („RB 11“) nahe dem Potsdamer Platz gebaut worden, er steht heute unter Denkmalschutz und ist der einzige seiner Art in Mitte. Und da er in den Berlin-Stadtführern abgebildet und beschrieben wird, kommen die Touristen in Scharen, um den grauen Zeitzeugen zu sehen und zu fotografieren – RB 11 nahe dem Berliner Abgeordnetenhaus ist tatsächlich ebenso ein originales Dokument der Mauer-Zeit wie die letzte verbliebene Betonwall-Strecke neben dem Gropius-Bau, also ganz in der Nähe. Diesen Vorteil einer Umgebung voller Geschichte möchte Jörg Moser für sein neues „Informationszentrum Berliner Mauer“ mit dem Grenzwachturm am Potsdamer Platz als authentischen Anziehungspunkt nutzen.

Der Filmhistoriker und Projektentwickler will zunächst den vom Bezirksamt Mitte gemieteten Turm am nördlichen Rand der Erna-Berger-Straße restaurieren und dann auf der genau gegenüberliegenden, 6500 Quadratmeter großen bundeseigenen Brache ein Info-Zentrum mit einer Reihe originaler Mauersegmente einrichten: „Wir bauen dafür die Turmkanzel vergrößert nach. Sie ragt dann als Panorama aus dem Ausstellungspavillon und wird 70 bis 80 Besucher fassen. Die Fenster sind Projektionsflächen für eine aufwendige, realistisch anmutende 3-D-Darstellung in Stereo: Man sieht virtuell den Blick der Grenzer in den Mauerstreifen und in die heute überhaupt nicht mehr vorstellbare Leere am Potsdamer Platz“. Damit nicht genug. Jörg Moser möchte bei seiner möglichst realistischen Inszenierung alle modernen Kommunikationsmittel wie Touchscreens und Animationen verwenden, „nichts ist dabei unvorstellbar“, sagt der Filmemacher und erklärt, was man eines Tages – „hoffentlich in etwa einem Jahr“ – in dem vergrößerten Wachturm-Panorama sehen kann: Die modernen Bauten am Potsdamer Platz sinken in den Boden und die alte Stadtbrache kehrt zurück. Es wird Nacht. In der Leere da draußen baut sich gleißend hell erleuchtet der Grenzstreifen auf. Der Besucher blickt aus zwölf Metern Höhe rundum in den Todesstreifen, die Sicherungssysteme und in die Stadthälften. Auch ein Fluchtversuch wird gezeigt, der Wandel der Jahreszeiten, Tag und Nacht. „Der Terror und die Perfektion der Grenzanlagen werden wieder erfahrbar“, sagt der Regisseur vom 3-D-Stereopanorama. Zur Realisierung hat er einen Förderverein gegründet und rechnet mit Kosten „von dreieinhalb bis vier Millionen Euro“, aber auch mit Sponsoren, die sich an dieser modernen Darstellung des in Berlin unerschöpflichen Themas Trennung und Teilung beteiligen. Jörg Moser rechnet mit täglich bis zu 1500 Besuchern, für die die derzeitige Sackgasse Erna-Berger-Straße durch einen Weg Richtung Abgeordnetenhaus, Martin-Gropius-Bau, Topographie des Terrors und Checkpoint Charlie geöffnet werden soll.

Während wir gestern am Wachturm standen, drehte ein Team der Nachrichtenagentur Associated Press einen Film mit Michael Cramer über dessen Aktivitäten in Sachen Mauer-Radweg. Der Grünen-Europaabgeordnete war gleich ganz begeistert von dem Plan, hier das Damals so eindringlich wie möglich vorzuführen. Und er zitierte seinen SPD-Kollegen Erhard Eppler: „In Berlin ist jeder Stein Geschichte. Und das muss man auch zeigen“. Lothar Heinke

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