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Berlin: Programm für eine Minute

In ihren TV-Wahlspots zeigen sich die Berliner Parteien wenig kreativ. „Gut sind sie alle nicht“, sagt der Werbeexperte Werner Gaede

Von Sabine Beikler

60 Sekunden – in dieser Zeit muss die politische Botschaft erzählt sein. Mehr Sendezeit erhalten die Parteien pro Werbespot im RBB nicht. Laufende Bilder haben im Gegensatz zu Plakaten für die Werbestrategen aber einen großen Vorteil: „Man hört und sieht etwas, wird direkt angesprochen, ohne dass man sich anstrengen muss“, sagt Werner Gaede, emeritierter Professor für Texttheorie und -gestaltung an der Universität der Künste (UdK) und Ehrenmitglied im Art Directors Club. Gaedes Buch „Abweichen von der Norm“ gilt als Standardwerk für kreative Gestaltung. Für den Tagesspiegel hat sich der 79-Jährige die Werbespots der fünf im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien angeschaut und bewertet. Sein Resümee: „Gut sind sie alle nicht, die meisten Spots sogar unterdurchschnittlich.“

SPD

In ihrem Werbefilm zählt die SPD auf, wo sie in der Stadt „weiterbauen“ will: unter anderem in der Bildung, Kitalandschaft, Wirtschaft, Infrastruktur oder Forschung. In kurzen Sequenzen taucht der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit auf, der zum Schluss direkt zum Zuschauer spricht.

In dem Spot tauchen viele „semantische Leerformeln“ auf, beschreibt Werner Gaede die allgemein gültigen Aussagen. Der Film vermittele mit seiner vielfältigen Bildersprache ein positives Image. Konkrete Wahlversprechen gibt es aber nicht. „Da geht die Partei auf Nummer sicher“, sagt Gaede. Dass die SPD Wowereit als Sympathieträger hat, zeigt sie auch deutlich in dem Spot. Wowereit wird inmitten der Berliner als einer der ihren dargestellt. „Für den Zuschauer ist das eine klare Wirkung: Die SPD hat den Mann, der der Richtige für Berlin ist“, sagt Gaede. „Die Aussage lautet: Wer Wowereit will, muss SPD wählen.“ Der Film sei technisch „solide“ und professionell gemacht und erzähle eine in sich schlüssige Geschichte. Eine „besondere kreative Leistung“ aber kann der Fachmann nicht erkennen.

CDU

Die erste Hälfte des CDU-Spots spielt im imaginären Arbeitszimmer des Regierenden Bürgermeisters. Die Kamera schwenkt über nicht abgearbeitete Aktenberge, eine Champagnerflasche und leere Aspirinverpackungen. Nach einer Unterlassungserklärung der Entertainerin Desiree Nick muss die CDU jetzt ein Foto von Wowereits guter Bekannter aus dem Spot schneiden. Im zweiten Teil des Films spricht CDU-Spitzenkandidat Friedbert Pflüger in die Kamera, wirbt für sich als künftigem Regierenden und für die Abwahl von Rot-Rot.

„Der Anfang ist schwer verständlich“, sagt Gaede. „Dass das Wowereits Arbeitszimmer sein soll, wissen nur Insider.“ Die Kritik an der Regierungsarbeit sei filmisch „dahingerotzt“, laufe für den Zuschauer viel zu schnell. All diese Kritik wiederum greife der CDU-Kandidat Pflüger in seiner Ansprache nicht auf. „Er kommt wie ein normaler Bewerber daher und wirkt nicht souverän genug. Er wird nicht gut dargestellt.“ Der Spot sei an Stammwähler der CDU gerichtet und an Wähler, die Wowereit überhaupt nicht mögen. Die könnte die CDU laut Gaede mit dem Spot noch am ehesten begeistern, da Pflüger als „sachlicher, ordentlicher Arbeiter“ dargestellt werde. Technisch und konzeptionell sei der Spot aber „sehr unprofessionell“.

Linksparte i/PDS

Der Film beginnt mit einer Rückblende auf den Bankenskandal und die Neuwahlen vor fünf Jahren. Dann folgen bunte Bilder: Kinder, ältere Menschen, Baukräne oder Unternehmen. Dazwischen ist im Bild immer kurz der PDS-Spitzenkandidat Harald Wolf zu sehen. Die PDS zählt auf, wofür sie stehen will, wie zum Beispiel Sicherung der sozialen Grundrechte. Gegen Ende des Spots erscheint neben Wolf auch der bekannte Vorzeige-Sozialist Gregor Gysi.

„Die PDS lobt sich selbst und macht Werbung, ohne dass sie Leute gegen sich aufbringen will“, sagt Gaede. Sie zeige keinen markanten Unterschied zu den anderen Parteien. „Warum sollte man diese Partei wählen?“, fragt er. Spitzenkandidat Wolf bleibt die Antwort schuldig. Er kommt im Spot direkt nicht zu Wort. Gaede hat dafür nur eine Erklärung: „Wer nichts sagt, kann auch nichts falsch machen.“ Die PDS bietet sich laut Gaede zwar weiter als Regierungspartner an – ein klares Profil aber wird nicht deutlich.

Bündnis 90/Die Grünen

Ein Kneipen-Macho in Gestalt des Schauspielers Ralph Herforth regt sich über grüne Programmatik auf: Verkehrspolitik, Verbraucherschutz und Ökologie werden auf die Schippe genommen. Der Spot startet und endet mit den Worten „die Eichstädt-Bohlig“.

Das sei im engeren Sinne kein Werbespot, sondern eine gespielte Karikatur über grüne Politik, meint Gaede. „Der Film ist sehr intellektuell, für einen elitären Kreis und für Stammwähler gemacht, die den Witz erkennen können.“ Für all die Aussagen, die die Hauptfigur in dem Film erzählt, brauche man politische Kenntnis und Vorwissen. Dass die grüne Spitzenkandidatin Franziska Eichstädt-Bohlig nicht im Spot auftaucht, sei immerhin ein Kennzeichen grüner Politik: „Es kommt weniger auf Personen, sondern auf Inhalte an“, sagt Gaede. Positiv bewertet der Werbeexperte die „kreative, außergewöhnliche“ Idee für den Spot. Keine Partei würde sich in einem Wahlwerbespot selbstironisch präsentieren.

FDP

Der Spot: Ein düsteres Zimmer mit zwei grimmig aussehenden Beamten, vor denen ein kleiner, schüchterner Mensch steht, der um verschiedene gewerbliche Konzessionen bittet. Alles wird abgelehnt. Dann der Schnitt auf ein FDP-Werbeplakat mit dem Spruch „Unbequem für Bürokraten“ und dem Konterfei des Spitzenkandidaten Martin Lindner.

Der Bruch zwischen den laufenden Bildern und dem starren Blick auf Plakate sei „dilettantisch und nicht telegen“, sagt Gaede. Martin Lindner hätte selbst sprechen müssen. So sehe man lediglich einen Kopf und keine leibhaftige Person, die für die politischen Aussagen eintritt. Das Zeigen überbordender Bürokratie sei als Grundidee für den Spot am Anfang allerdings gut gewählt worden. „Nur die handwerkliche Umsetzung ist schlecht und nicht professionell“, sagt Gaede. Dem Spot fehle ein filmisches Ende.

Die Wahlwerbespots im Internet: www.tagesspiegel.de/berlinwahl

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