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© Mike Wolff

Protest: Bis die Milch sauer wird

Seit Montag warten rund 200 Bäuerinnen vorm Kanzleramt auf Angela Merkel. Einige von ihnen sind aus Protest sogar in den Hungerstreik getreten.

Weit hätte es die Bundeskanzlerin ja nicht: Nur ein paar Meter müsste Angela Merkel (CDU) vom Bundeskanzleramt herüberlaufen, die Heinrich-von-Gagern-Straße entlang, um den Milchbäuerinnen gegenüberzustehen, die so sehnsüchtig auf diesen Besuch warten.  Bislang hat sich Angela Merkel aber noch nicht bei den rund 200 Frauen vom Bundesverband Deutscher Milchviehhalter blicken lassen, die dort seit Montag für höhere Milchpreise demonstrieren, weil sie nach eigenen Angaben von ihrer Arbeit kaum noch leben können. Viele der Frauen kommen für ein, zwei Tage aus ganz Deutschland angereist, schlafen bei zwei Grad im Freien, und werden dann abgelöst – länger können sie nicht weg von ihren Höfen, der Familie, der Verantwortung.

Eine Brandenburgerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, läuft auf der Wiese zwischen den Rollkoffern, Isomatten und Feldbetten hin und her – sie hat schlecht gelegen heute Nacht. „Ich bin hierher gekommen, weil ich will, dass die Milchquote wieder gesenkt wird“, sagt sie. Denn wenn zu viel Milch auf den Markt gebracht wird, sinke der Preis für die Bauern. 40 Cent müssten sie für den Liter eigentlich bekommen – viele kriegen aber gerade mal 20. Sechs Frauen sind am Mittwoch sogar in den Hungerstreik getreten – damit die Bundeskanzlerin doch noch vorbeischaut. Und in den nächsten Monaten einen Milchgipfel veranstaltet.

Sabine Holzmann ist eine der Hungerstreikenden. Der Hunger macht ihr nichts aus, sagt die Bäuerin aus dem Landkreis Landshut: „Am schlimmsten ist für mich die Tatsache, dass ich so weit weg bin von meiner Familie. Aber die Proteste unserer Männer hatten bisher ja keine Erfolge, deshalb haben wir Frauen den Beschluss gefasst, an die Front zu gehen!“

Während Sabine Holzmann in Berlin campiert und hungert, bleibt bei ihr zu Hause die Arbeit liegen. „Mein Mann muss sich ganz allein um den Hof kümmern, während meine Älteste für ihre beiden Schwestern sorgt“, erzählt die Milchbäuerin, die schon einen Sonnenbrand auf der Nase hat.

Dass sie trotz der vielen Arbeit zu Hause nach Berlin gefahren ist, hat nur einen Grund: Verzweiflung. „Wir stehen kurz vorm Aus. Wenn die Milchpreise nicht wieder steigen, müssen wir unseren Hof in einem halben Jahr aufgeben“, klagt sie. Eine solche Zukunft will sie sich gar nicht vorstellen.

Die 42-Jährige liebt ihren Beruf, trotz der langen Arbeitszeiten und der körperlichen Belastung. „Als Milchbäuerin stehst du um halb fünf auf und gehst um elf Uhr abends ins Bett“, erzählt sie, „und das sieben Tage pro Woche.“ Einen richtigen Urlaub hatten sie und ihre Familie nie, „aber Ende 2007, als die Milchpreise über 40 Cent gestiegen sind, waren wir übers Wochenende mit den Kindern auf der Ü-40-Party in Ostfriesland“, erzählt sie. Meckern will sie über die Arbeitsbedingungen aber nicht. „Ich will nur, dass die Politik die Rahmenbedingungen schafft, damit ich meinen Beruf weiter ausüben kann.“

Versorgt werden die Bäuerinnen auch von vielen Berlinern, die Kaffee oder Tee vorbeibringen. Einige bieten den Bäuerinnen auch Übernachtungsmöglichkeiten an. Das Schlafen im Freien ist nämlich kein Vergnügen – obwohl sich die Frauen zumindest sicher fühlen können, denn die Polizei bleibt rund um die Uhr dabei. „Bis zum Montag wollen wir mindestens hier bleiben“, sagt Christine Schneebichler aus dem bayerischen Neubeuern. Denn auch sie hofft, Bundeskanzlerin Merkel zu treffen auf der grünen Wiese oder sogar im Kanzleramt.

Dass Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU), die Grünen-Bundesvorsitzende Claudia Roth oder CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla schon auf der Wiese vorbeigeschaut haben, reicht den Bäuerinnen nicht. Denn der Milchpreis, fordern die Landfrauen, soll Chefsache werden. Beziehungsweise Chefinnensache. 

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