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Berlin: Protest ist nur der Anfang

Die Organisatoren der Montagsdemonstrationen überlegen, wohin ihre Hartz-Gegnerschaft führen soll. Großdemo am 2. Oktober

Aufbruchstimmung im Vorlesungssaal 3038 der HumboldtUniversität. In den Sitzreihen, auf deren Holztischen sich Studenten-Generationen seit mindestens 50 Jahren mit Kritzeleien verewigt haben, gehen am Sonnabend Protestaufkleber und Flugblätter von Hand zu Hand. Und jeder, der diszipliniert nach der Rednerliste beim ersten bundesweiten Koordinierungstreffen der Hartz-Gegner zu Wort kommt, nennt zuallererst seine Zahlen: „3000 kamen bei uns zur ersten Montagsdemo“, sagt die arbeitslose, etwa 50-jährige Frau aus Neubrandenburg stolz. 2000 waren es in Frankfurt (Oder), 600 in Fürstenwalde – und 15000 in Berlin. Erfolgsmeldungen meist aus dem Osten Deutschlands. Aus westdeutschen Ländern sind nur wenige gekommen, vielleicht, „weil denen das Bahnticket zu teuer war“, vermutet ein Leipziger.

Das werde am 2. Oktober hoffentlich nicht so sein. An diesem Tag sollen mehrere hunderttausend Demonstranten zur ersten bundesweiten Anti-Hartz-Demo nach Berlin kommen. Diesen Aufruf beschließt die Versammlung, nachdem die knapp 150 Anwesenden zuvor Top 2 der mit Kreide an die Tafel geschriebenen Tagesordnung abgearbeitet haben – „Infos aus Städten und Regionen“. Dazu gehören nach dem fulminanten Demostart kurze Berichte zur sozialen Situation. Die sind dann allerdings so übereinstimmend fixiert auf drohende Armut und Perspektivlosigkeit, dass die aschgrau verblichenen Hörsaalwände als Kulisse dafür wie geschaffen erscheinen.

Sprecher von Attac und Anti-Hartz- Bündnissen melden sich zu Wort, von Sozialhilfeorganisationen, Gewerkschaften oder der PDS. Würden sie sich nicht gleich als Dresdner oder Aachener vorstellen, könnte man annehmen, viele kämen aus einem Seminar für fortgeschrittene Politologen gleich nebenan. Auf den Marktplätzen in sächsischen oder brandenburgischen Städten sind die Gesichter, die zornig vor TV-Kameras schimpfen, zumeist ganz andere.

In der Humboldt-Uni stellt der Versammlungsleiter erst einmal fest, dass er Frauen auf der Rednerliste vorzieht – „weil die sich seltener zu Wort melden.“ Dann nennt er die „bundesweite Vernetzung“ als Ziel. Und viele klatschen, als ein Sprecher des Arbeitslosenverbandes warnt: „Unser Slogan ,Weg mit Hartz IV’ nutzt sich schnell ab. Wir müssen Alternativen bieten.“ Welche, wissen Zwischenrufer. „Reiche höher besteuern, weniger Geld fürs Militär.“ Und dann geht es gegen die Gewerkschaften, „die halbherzig mitmachen“. Aber die Berliner IG Metall hat ihren Bezirksbevollmächtigten Peter Senft geschickt. Der hält den Kritikern ihr „falsches Demokratieverständnis“ vor: „Wir sind kein FDGB, der Proteste verordnet. Unsere Mitglieder entscheiden an der Basis, ob sie zu Demos gehen.“ CS

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