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Prozess: Baby im Rinnstein: Mutter schweigt vor Gericht

Eine 23-Jährige ist wegen Totschlags angeklagt. Sie soll ihren fünfeinhalb Monate alten Sohn geprügelt und ausgesetzt haben.

Was die Angeklagte empfindet, dringt nicht nach außen. Regungslos hört Sabrina R., wie ihr Sohn, der kleine Santino, aus Sicht der Staatsanwaltschaft getötet wurde. Sabrina R. habe den fünfeinhalb Monate alten Jungen „massiv misshandelt“ und das lebensgefährlich verletzte Kind unter einem parkenden Auto abgelegt, ist der Ankläger überzeugt. Die 23-jährige Mutter, die sich seit gestern vor dem Landgericht verantworten muss, hat eine andere Version. Am ersten Prozesstag aber schweigt sie.

Es war am 16. November gegen 12 Uhr, als eine Passantin auf ihrem Weg zum S-Bahnhof in Niederschöneweide ein leises Wimmern hörte. „Ich sah zwei Füßchen“, erinnert sich die 51-jährige Zeugin. „Im Kopf schossen alle Gedanken durcheinander.“ Das Kind lag unter dem rechten Vorderreifen eines Ford Mondeo. „Quer zur Bordsteinkante.“ Bärbel B. zog das Baby vorsichtig hervor. „Es war richtig festgekeilt.“ Als sie das nur mit einem Strampler und einem Shirt bekleidete Baby in ihren Armen hielt, sah sie eine blutunterlaufene Beule am Kopf. Nur Augenblicke später kam der Autobesitzer und wollte wegfahren. Das Kind wäre vermutlich sofort tot gewesen.

Der Verdacht fiel schnell auf die Mutter. Die Polizei hatte Spürhunde eingesetzt, die den Weg vom Auto zu ihrer Wohnung in der Brückenstraße fanden. Sabrina R. aber war nicht anzutreffen. Sie wurde am nächsten Tag festgenommen, als sie eine Bankfiliale ganz in der Nähe ansteuerte. Zu dieser Zeit versuchten die Ärzte, das Leben des Jungen zu retten. Er hatte ein Schädelhirntrauma sowie Frakturen der Wirbelsäule, der Rippen und des rechten Unterarmes erlitten. Er starb fünf Tage später.

Sie habe gar kein Kind, sagte Sabrina R. in ersten Vernehmungen. Später soll sie den Vater des Kindes, von dem sie sich zwei Monate zuvor getrennt hatte, als mutmaßlichen Täter ins Spiel gebracht haben. Ermittlungen gegen den 22-jährigen Benjamin W. aber wurden nicht eingeleitet. Dass er mit dem Tod des Jungen zu tun habe, sei eine „Erfindung der Mutter“. So stellt es auch der Reinickendorfer W. im Gericht dar: „Sie lügt, redet sich raus.“

„Meine Tochter ist unschuldig“, sagt hingegen die Mutter der Angeklagten vor dem Saal 220. Wenig später sitzt sie auf dem Zeugenstuhl. „Sie ist im September zu uns gekommen, weil sie sich trennen wollte.“ Sie und ihr Mann hätten die Tochter unterstützt bei Behördengängen und dem Umzug Ende Oktober in eine eigene Wohnung. Sabrina R. habe dem Vater ihres Kindes die neue Adresse nicht verraten. Er aber habe immer wieder angerufen.

Sabrina R. hat keinen Beruf erlernt. Nach der Schule lebte sie immer wieder von Sozialhilfe und zog oft um. Den Vater ihres Kindes lernte sie in einer Kriseneinrichtung kennen. Sie fanden eine Wohnung in Reinickendorf. Die Beziehung war von Anfang an schwierig. „Es gab jeden Tag Streit“, sagt Benjamin W. Der Lebensgefährte der Mutter des jungen Mannes erklärt, Sabrina habe Benjamin oft provoziert. Aber er berichtet auch von einem Telefonat, in dem W. sagte, dass er Sabrina geschlagen habe.

„Es wird ein reiner Indizienprozess“, kündigte der Verteidiger an. Die Angeklagte, eine ungeschminkte Frau mit nackenlangen Haaren, beschreibt er als „ganz verhuschtes Mädchen“. Sabrina R. bestreite nicht mehr, die Mutter des Jungen zu sein. Es gebe aber Anhaltspunkte auf einen anderen Täter. Der Prozess wird am Mittwoch fortgesetzt.

Kerstin Gehrke

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