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Berlin: Prüfungsamt durchgefallen

Irrtum bei Staatsexamen Jura-Klausur wird wiederholt

Der Jurist lebt von der Präzision. Verpasst er eine Frist, kann das einen verlorenen Prozess und horrende Haftungssummen bedeuten. Trägt er einen Anspruch nicht lückenlos vor, wird die Klage abgewiesen, und er verliert, auch, wenn er im Recht ist. So ist eines der Ziele des Jurastudiums, die Bedeutung äußerster Genauigkeit zu vermitteln. Die Behörde aber, die den angehenden Rechtsexperten das Examen abnimmt, scheint mit der Sorgfalt gewisse Schwierigkeiten zu haben. So kam es, dass gut 400 Berliner Prüflinge des ersten Staatsexamens jetzt erneut Post von ihrem Prüfungsamt bekamen, mit der sie eingeladen werden, eine Klausur zu wiederholen, weil das Amt einen Fehler gemacht hat.

Rückblende. September 2002, Studenten schreiben das erste Staatsexamen. Für die siebte der neun Klausuren, Themenschwerpunkt Hypothekenrecht und Zivilprozessordnung (ZPO), ist als Hilfsmittel unter anderem die Gesetzessammlung Schönfelder zugelassen, wahlweise auf dem Stand der 113. oder der 114. Nachlieferung. Die Studenten sollen auch die Frage beantworten, was sich durch die ZPO-Reform alles geändert hat. Glücklich sind nun diejenigen, die die 113. Auflage dabei haben. Darin ist nämlich eine Synopse vorhanden, vorher-nachher, so dass die Besitzer dieser Auflage die Antwort praktisch glatt abschreiben können.

„Sehr geehrte/r Rechtskandidat/in“, schreibt Amtspräsident Klaus-Peter Jürgens jetzt den Prüflingen, „um die darin liegende Verletzung der Chancengleichheit auszugleichen“, biete er jenen, die die Klausur ohne Synopse geschrieben haben, einen Nachschreibtermin an. Synopsen seien nicht zugelassen. Wer das Angebot nicht annehme, verliere das Recht, den Verfahrensmangel mit Rechtsbehelfen geltend zu machen.

Wer einmal benachteiligt war, soll es auch bleiben, kann man daraus folgern. Nachprüfbar ist ohnehin nicht mehr, wer welches Hilfsmittel benutzt hat. Warum sollen dann nicht alle die Klausur wiederholen? „Das wäre uns unverhältnismäßig erschienen“, hieß es gestern aus dem Amt.

„Aus Sicht eines Juristen ist das Justizprüfungsamt eine Skandalbehörde“, sagte ein Prüfling, der ebenfalls Post bekam. In einer anderen Klausur sei den Kandidaten gesagt worden, der Fall sei nach dem alten Schadensersatzrecht zu lösen. Wer wolle, könne ihn zusätzlich nach neuem Recht lösen. Mehr Zeit gebe es dafür aber nicht. Ob dafür Zusatzpunkte winken, wurde nicht gesagt.

Amtschef Jürgens gilt als umstritten. Vor einigen Jahren wurde ihm vorgeworfen, bei seinen Repetitorien in der Humboldt-Universität den Stoff bevorstehender Prüfungsklausuren behandelt und sich dessen auch noch gerühmt zu haben. Zwei Studentinnen der Freien Universität klagten gegen die Benachteiligung – mit Erfolg. Geprüft werden die Studenten der beiden Unis nämlich gemeinsam.

Auch in dem aktuellen Fall war das noch nicht alles. Über der jetzt nachzuschreibenden Klausur des ersten Staatsexamens, so der Prüfling, habe „Klausur zum 2. Staatsexamen“ gestanden.

Fatina Keilani

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