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Berlin: Randale und Liebe

Verfeindete Gangs, verliebte Jungs: Die Originalversion der West Side Story kommt jetzt an die Deutsche Oper. In New York wird schon intensiv geprobt

Sie lieben sich und haben doch keine Chance. Tony und Maria sind Kinder von Einwanderern; die Enge zu Hause in den schäbigen Wohnblocks und eine Gesellschaft, die ihnen keine Freiheit zugesteht, treibt sie auf die Straßen und in Jugendgangs, die sich bis auf den Tod bekämpfen. Was sich so ähnlich hier und jetzt in Berlin zutragen könnte, spielte sich in den 50er Jahren in New York ab. Es ist die Geschichte der West Side Story. Lange wurde in New York geprobt. Im August kommt das Drama in Originalversion um die verfeindeten „Jets“ und „Sharks“ nach Berlin, an die Deutsche Oper – am Montag stellt sich die Truppe schon mal in der Stadt vor.

Joey McKneely haucht der West Side Story in New York Leben ein. Der Tänzer und Choreograph wohnt selbst in New Yorks West Side, nicht dort oben, am Hinterausgang der glanzvollen Metropolitan Opera, wo auch heute noch in schäbigen backsteinernen Wohnblocks Einwanderer von staatlicher Wohlfahrt leben, sondern etwas weiter im Süden, wo die Häuser kleiner sind und saniert. Jeder Schritt, jeder Takt und jedes Gefühl des legendären Musicals ist in seinem schlanken, durchtrainierten Körper gespeichert. McKneely hat bei Jerome Robbins studiert, der in den 50er Jahren die Idee zu dem Liebesdrama hatte und die Choreographie erarbeitete. Leonard Bernstein schrieb die Musik. McKneely ist einer von weltweit drei Choreographen, die von Robbins das Recht geerbt haben, die Originalversion der West Side Story aufzuführen, so, wie sie viele auch aus dem Film aus den 50er Jahren kennen.

Die West Side Story wird also zum ersten Mal seit Jahrzehnten im Original nach Deutschland kommen. Das heißt: mit 36 Darstellern, 25 Musikern, Produktionskosten von über zwei Millionen Euro. Und mit McKneelys Worten: „In einer besonders dynamischen und gefühlsgeladenen Weise.“ Für ihn stehen in dem Stück weniger die Rassenkonflikte im Vordergrund als die Liebe und wie sie das ganze Leben auf den Kopf stellt, wenn sie über einen hereinbricht.

Wie sich das anfühlt, versucht McKneely an diesem Vormittag einem 18-jährigen Tänzer klar zumachen. Der ist einer von 16 jungen Männern, die in einer Art Turnhalle im 16. Stock in der Nähe des Time Square um die Wette springen, singen und schwitzen. Es geht um zwei Rollen für die Aufführungen in Deutschland. Für die Tänzer ist es die Chance des Lebens, die Gage von 800 Dollar pro Woche würde zumindest Sicherheit bedeuten. „Hey, Mann, wir sind hier, um Spaß zu haben, es geht um Frieden und Glück. Entspann dich“, ruft ihnen McKneely zu. „Versetzt euch in die Lage dieser Jungs. Sie sind voller Hass, Schmerz und verletztem Stolz.“

Sean Attebury hat es geschafft. Er ist 30 Jahre alt und spielt den Tony. „Jeden Abend muss ich mich mit ihm identifizieren, wieder glauben, dass Maria stirbt, Angst haben und Wut.“ Manchmal sei das ganz schön schwierig. Es ist Nachmittag, Sean Attebury, Carolann M. Sanita und Lana Gordon schlürfen in einer Bar in Manhattans Grand Central Station Austern. Carolann M. Sanita ähnelt nicht nur äußerlich der Film-Maria sehr. Man hat das Gefühl, sie sei mit ihrem ganzen Wesen Maria: die Liebende, Zarte, die mit der Botschaft. Carolann, 30 Jahre, lange schwarze Haare, weiße Bluse, trägt ein silbernes Kruzifix um den Hals – nicht nur Modeaccessoire, sondern Ausdruck ihrer Gläubigkeit, sagt sie. Carolann ist katholisch und geht jede Woche in die Kirche. Auch am Tag, bevor sie für ihre Rolle als Maria vorgesungen hat, war sie dort, um zu beten. Kürzlich hat ihr Freund bei ihrem Vater um ihre Hand angehalten.

Hätte Tony bei Maria sicher auch gemacht, wäre er nicht ermordet worden. Und während Carolann die Beine übereinander schlägt, sitzt Lana Gordon, 34, abstehendes krauses Haar, brauner Teint, betont breitbeinig da. Sie spielt Marias Freundin Anita, die Draufgängerische – im Musical und ein bisschen auch an diesem Nachmittag. „Die Maria-Rolle wäre nichts für mich“, sagt Lana und spitzt den Mund, „dafür bin ich zu sexy, zu würzig.“

Als wüsste sie nicht, wohin mit der Energie, rutscht sie auf dem Sessel herum, gestikuliert viel, verdreht die Augen und legt den Kopf in Flirtpose. Beim „König der Löwen“ hat sie mitgespielt, auf großen Plakat wirbt sie gerade für die Telefongesellschaft AT&T. „Am besten sind die Rollen, in denen man sich selbst findet“, sagt Lana. Und es scheint, als sei es ihr bei der Anita so gegangen.

Für eine Wohnung in Manhattan reicht die Gage dieser Traumrollen trotzdem nicht. Sean wohnt in Harlem, Carolann in Queens, Lana in Washington Heights – „dort, wo die Puertoricaner wohnen“, sagt Lana, „da pass ich gut rein“.

West Side Story, Deutsche Oper Berlin, Bismarckstraße 35, Charlottenburg. Generalproben am 17. und 18. August (Karten 14,30 bis 57,80 Euro). Vorstellungen 19. August bis 5. September, Karten 10,60 bis 76 Euro). Infos: www.deutscheoperberlin.de

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