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Berlin: Rasseln & schreien

Aufklärung von unten: Friedrichs Berlin ist ein Zentrum des Geisteslebens.

Selbst am Brecht-Denkmal vor dem Berliner Ensemble ist der Heros verewigt: „Friedrich der Zweite siegte im Siebenjährigen Krieg. / Wer siegte außer ihm?“ Brechts Frage stellte sich schon Lessing. Seine „Minna von Barnhelm oder Das Soldatenglück“ spielt in einem Berliner Gasthof am Ende des Siebenjährigen Krieges. Ein preußischer Kriegsinvalide und seine Verlobte aus dem besiegten Sachsen finden unter Mühen wieder zusammen. Die Stadtatmosphäre ist in den Dialogen der Spitzel, Hochstapler und Dienstboten lebendig: „Wer kann in den verzweifelten großen Städten schlafen? Die Karossen, die Nachtwächter, die Trommeln, die Katzen, die Korporals – das hört nicht auf zu rasseln, zu schreien, zu wirbeln, zu mauen, zu fluchen.“

Die Uraufführung in Hamburg ist ein Flop, in Friedrichs Berlin kommt das Stück im März 1768 als gefeierte Off-Theaterproduktion heraus. Wer deutschsprachiges Theater sehen will, muss einen Hinterhofschuppen an der Behrenstraße aufsuchen – etwa dort, wo heute die Komische Oper spielt. Auf staatliche Subventionen darf dieses Theater nicht hoffen, der frankophile König traut der deutschen Literatur nichts zu: „Um sich von dem bisher in Deutschland herrschenden Geschmack zu überzeugen, brauchen Sie sich nur ins Schauspielhaus zu begeben. Da sehen Sie, wie man die abscheulichsten Stücke Shakespeares, ins Deutsche übersetzt, aufführt, und alle Zuhörer laben sich an den lächerlichen, für die Wilden in Kanada passenden Possen“, schreibt der König 1780 in seiner berüchtigten Abhandlung „Über die deutsche Literatur“.

Andererseits: Die deutschsprachige Literatur profitiert enorm von Friedrichs liberalen Grundsätzen in puncto Religions-, Meinungs- und Pressefreiheit. Die Berliner Presse ermöglicht es dem blutjungen Lessing, sich ab 1748 in Berlin als Zeitungsschreiber über Wasser zu halten, hier findet er einen treuen Verleger. Der Freund Friedrich Nicolai baut den Verlag seines Vaters zu einer der ersten Adressen der Aufklärung in Europa auf. Mit ihren „Briefen, die neueste Literatur betreffend“, machen Lessing, Nicolai und Moses Mendelssohn Berlin zum Zentrum der literarischen Debatte in Deutschland. Doch eine Aufnahme des jüdischen Philosophen in seine Akademie lehnt Friedrich II. ab, genauso wie eine Anstellung Lessings an der königlichen Bibliothek. Dieser hat 1767 die Nase voll von Berlin und sucht sein Glück in der Kaufmannsstadt Hamburg.

Aber das bürgerliche Berlin vergisst seine eigene Aufklärung nicht. So tragen das erste Literaturmuseum und Literaturhaus der Hauptstadt Lessings Namen. 1905 wird im Rathaus das Lessing-Museum gegründet, getragen von einem Bürgerverein und von der Stadtverwaltung auch finanziell unterstützt. 1910 zieht es in Nicolais ehemaliges Verlagshaus in der Brüderstraße 13. Wöchentlich finden dort Lesungen, Konzerte und stadthistorische Vorträge statt. Gegen Ende der Weimarer Republik gerät das Lessing-Museum durch die Kürzung der städtischen Zuschüsse in Schwierigkeiten. Die jüdischen Mitglieder des Vereins sind in der Nazizeit nicht mehr in der Lage, das Museum der Aufklärung tatkräftig zu unterstützen. Die nationalsozialistische Stadtverwaltung lässt das Lessing-Museum 1936 sang- und klanglos pleitegehen, die Sammlungen werden aufgelöst und verkauft.

2012 wird der 300. Geburtstag Friedrichs mit viel Brimborium gefeiert – wo aber bleibt die Erinnerung an die Aufklärung von unten? „Vor dem Vergessen“ – unter diesem Titel hat Lisa Balihar, Bibliothekarin an der Stadtbibliothek, erstmals die Quellen zum Verschwinden des Lessing-Museums ausgewertet, rechtzeitig bevor im Nicolaihaus neue Tatsachen geschaffen werden. Der Senat hat es an die Deutsche Stiftung Denkmalschutz verkauft, die dort mit ihrer Hauptstadtrepräsentanz einziehen will. Das Haus wäre geräumig genug, um wieder ein Ort der Aufklärung zu werden.

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